Wald, Fische, Klima - Eine Bilanz 25 Jahre nach dem Erdgipfel Von Jan Ludwig und Simone Humml, dpa

Kein Mensch soll Hunger leiden, niemand in einer Welt ohne
Tropenwälder leben: Das waren die Ziele der UN-Konferenz für Umwelt
und Entwicklung in Rio 1992. Nicht alles wurde erreicht - aber
einiges ist besser geworden seit damals.

Berlin (dpa) - Vor 25 Jahren trafen sich die Regierungen von mehr als
170 Staaten zum Erdgipfel in Rio de Janeiro. Ihnen war klar: Die Zeit
drängt. Entweder sie einigen sich auf weltweite Ziele für
Umweltschutz und Entwicklung - oder künftige Generationen würden
leiden. Sie beschlossen im Juni 1992 ein über 350 Seiten dickes
Dokument. Der Name: Agenda 21. Darin hatten sie einen Plan
aufgeschrieben, um die Welt zu retten. Was wurde in dem
Vierteljahrhundert seit der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung
erreicht? Eine Bestandsaufnahme.

KLIMA

Der Präsident des Inselstaates Kiribati hat vorgesorgt: Falls die gut
100 000 Einwohner seines Landes eines Tages vor dem ansteigenden
Wasser fliehen müssen, gibt es einen Ausweichort. Auf den
Fidschi-Inseln, mehrere tausend Kilometer entfernt, erwarb Anote
Tong, der bis 2016 im Amt war, Land. Unrealistisch ist das Szenario
nicht. Fünf kleine Inseln der Salomonen sind wegen des steigenden
Meeresspiegels bereits überspült, wie australische Forscher
berichteten. Sie waren unbewohnt.

Weltweit häufen sich wegen des Klimawandels Extremwetter. Regenzeiten
haben sich verschoben. 2016 war das dritte Jahr in Folge mit
Rekordtemperaturen. Der Wert lag rund ein Grad höher als vor der
Industrialisierung. Fische wandern deshalb in Richtung der Erdpole,
Pflanzen wachsen in höheren Berglagen.

Ziel der Klimarahmen-Konvention von Rio 1992 war es, eine für Mensch
und Natur gefährliche Erderwärmung zu verhindern. Um das zu
erreichen, beschlossen die Staaten 2015 in Paris, den Anstieg auf
deutlich unter 2 Grad zu begrenzen. Das kann jedoch nur noch mit
drastischen Einschnitten erreicht werden. Nach Ansicht eines
Forscherteams müssten dazu bis 2020 alle Subventionen für Kohle, Öl
und Gas abgeschafft werden. Bei der Verbrennung dieser Stoffe
entsteht das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2). Der Ausstoß einer Tonne
CO2 für Unternehmen müsse mindestens 50 Dollar (45 Euro) kosten. Die
CO2-Emissionen sollten weltweit bis 2020 ihren Höhepunkt
überschritten haben und bis 2050 auf Null sinken. Ein
Hoffnungsschimmer: Der energiebedingte Kohlendioxid-Ausstoß der Welt
ist drei Jahre lang bei rund 32 Gigatonnen (32 Milliarden Tonnen)
geblieben. Unklar ist, ob das eine Trendwende bedeutet.

WASSER

Wie kostbar sauberes Wasser ist, können sich viele Menschen in
Industriestaaten gar nicht vorstellen. Dabei ist unverkeimtes Wasser
eine Lebensversicherung. 2012 starben weltweit etwa 840 000 Menschen
an den Folgen von dreckigem Wasser. Jedes zehnte Kind, das vor seinem
fünften Geburtstag stirbt, erliegt einer Durchfallerkrankung.
Verursacht werden sie oft durch verunreinigtes Wasser.

Immerhin: Auf kaum einem Gebiet hat die Welt so viele Fortschritte
gemacht wie hier. 2,6 Milliarden Menschen haben seit 1990 Zugang zu
saubererem Frischwasser erhalten, 2,1 Milliarden zu sanitären
Einrichtungen. Verantwortlich dafür ist vor allem der wirtschaftliche
Aufschwung in den Milliardenstaaten Indien und China.

So groß der Erfolg auch ist, so viel bleibt zu tun. Noch immer fehlt
jedem dritten Erdbewohner der Anschluss an ein Abwassersystem.
Während sich vor allem in Lateinamerika die Situation verbessert hat,
reicht das Abwassersystem in vielen afrikanischen Ländern nicht aus -
die Städte wachsen dort schneller als die Zahl der Sanitäranlagen.

WÄLDER

Eigentlich klangen die Nachrichten zum Thema Wald beruhigend: Der
Schwund der Waldfläche verlangsame sich, meldete die
Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO im Jahr 2015.
Seit 1990 ist der weltweite Waldbestand demnach nur um rund 3 Prozent
gesunken. Sollte das Ziel, die Abholzung zu bremsen und nachhaltiger
mit Holz zu wirtschaften, also nahe sein?

Die Statistik trüge, widersprechen Waldschützer. Denn Holzfäller sind

vor allem in natürlichen Wäldern am Werk, gepflanzt werden aber
häufig Plantagen. In China sollen diese Aufforstungen unter anderem
Erosion verhindern. Die Monokulturen sind aber anfälliger für
Schädlinge. In einigen Fällen, etwa in Tansania in Afrika, pflanzten
skandinavische Firmen sogar nicht heimische Bäume, damit die - im
Rahmen des CO2-Handels - Kohlendioxid aufnehmen. Statt eines
Lebensraumes für Pflanzen und Tiere entstehen so Grünanlagen zur
Rettung des Klimas und der Böden. Der Baumbestand bleibt so
tatsächlich fast erhalten. Aber die Abholzung von Regenwäldern macht
das nicht wett.

ARTENSTERBEN

Den Pyrenäen-Steinbock vermochte die Rio-Konferenz nicht zu retten.
Das letzte Exemplar dieser Unterart, ein Weibchen namens Celia, starb
im Jahr 2000. Selbst modernste Reproduktionsmedizin konnte die Art
nicht erhalten. Man hatte Celias Haut Zellen entnommen, um daraus
einen neuen Steinbock zu klonen. Doch das Tier überlebte nur ein paar
Minuten.

Um gefährdete Tiere zu retten, hatten die Staaten in Rio eigentlich
das «Übereinkommen über die biologische Vielfalt» unterzeichnet, au
ch
Artenschutz-Konvention genannt. Die Begeisterung unter Naturschützern
war groß: Die Artenvielfalt wurde in einem Vertrag festgeschrieben,
der für mittlerweile 196 Mitgliedsstaaten rechtlich bindend ist. Nur
die USA sind als einziges großes Land nicht beigetreten.

Zehn Jahre nach Rio setzten sich die Länder dann ein Ziel: Bis zum
Jahr 2010 sollte die damalige Geschwindigkeit des Artensterbens
deutlich reduziert werden. Das wurde verfehlt. Noch immer starben
jeden Tag mehrere Dutzend Arten aus. So beschlossen die Länder 2010
in Japan, das Artensterben bis zum Jahr 2020 zu stoppen. Doch auch
dies scheint derzeit kaum erreichbar zu sein.

FISCHE

Der Kabeljau-Bestand in der Nordsee hat sich nach vielen Jahren
erholt. Das ist allerdings nicht allein ein Verdienst des
Artenschutzes. Hauptgrund sei die Politik der Europäischen Union (EU)
mit dem Ziel, aus Fischbeständen den «höchstmöglichen nachhaltigen

Ertrag» herauszuholen, sagt Fischereiexperte Christopher Zimmermann.
Die Fangquoten wurden gesenkt, um die Fischmenge zu steigern. Der
Politikwechsel sei auch geschehen, weil Umweltverbände kräftig Druck
gemacht hätten. Bislang hat der Nordsee-Kabeljau seine optimale Menge
allerdings noch nicht erreicht.

Wie können wir möglichst viele Fische zum Essen für Menschen fangen,

die Bestände aber erhalten? Dieses Ziel verfolgten auch die Staaten
auf einer weiteren UN-Konferenz im Jahr 2015, wo sie die Agenda 2030
vereinbarten: Alle Länder sollten die Fischbestände rasch mindestens
auf einen Stand zurückbringen, «der den höchstmöglichen Dauerertrag
»
sichert. Bis 2020 sollten Überfischung und illegale Fischerei
gestoppt sein. Das werde bis dahin sicher nicht erreicht - aber
vielleicht bis 2030, meint Zimmermann, der im Internationalen Rat für
Meeresforschung sitzt. «Es geht schon in die richtige Richtung: 60
Prozent der Bestände werden wie gewünscht weltweit derzeit bereits
maximal genutzt.»

Schäden verursachen auch der CO2-Ausstoß, der Meere wärmer und saurer

macht, und der Plastikmüll - größere Teile ebenso wie in Krümelform
.
Der Mensch müsse die Bestände daher noch vorsichtiger bewirtschaften,
sagt Zimmermann. Jeder Käufer könne helfen, indem er auf das blaue
MSC-Siegel für nachhaltigen Fang achte.

HUNGER

795 Millionen Menschen auf der Welt haben zu wenig zu essen. Das ist
eine skandalös hohe Zahl, und doch zeigt sie, wie viel Fortschritt
seit 1992 gemacht wurde. Obwohl sich die Weltbevölkerung seither um
mehr als ein Drittel vergrößerte, sank die Zahl der Unterernährten
deutlich. Das gilt auch für die am stärksten betroffenen Staaten.
1992 war noch fast jeder vierte Mensch in den Entwicklungsländern
unterernährt (23,3 Prozent). Heute beträgt der Anteil knapp 13
Prozent. Eine Hauptursache war das Wirtschaftswachstum.

Vor allem in Ländern im Süden und Osten Asiens, in China, Indien,
Bangladesch und Indonesien, können sich heute Hunderte Millionen
Menschen besser ernähren. Das nächste erklärte Ziel der
Weltgemeinschaft: den Hunger bis 2030 von der Erde zu tilgen.
Organisationen wie die Welthungerhilfe kritisieren allerdings, dass
beim derzeitigen Tempo das Ziel nicht erreicht werden kann.

PLASTIK

Als bedrohlichste Umweltveränderung sehen die meisten Deutschen
derzeit den Plastikmüll in den Weltmeeren an. Er rangiert knapp vor
Waldrodung, Artensterben und Klimawandel, wie aus einer Umfrage des
Umweltministeriums hervorgeht. Eindrückliche Bilder von verhungerten
Vögeln mit Mägen voller Plastik und durch Plastikringe verformte
Schildkröten zeigen die Qualen der Tiere. In einer Studie wurde
Plastik in 40 Prozent der Seevögel entdeckt.

Die Plastikproduktion stieg von 1,5 Millionen Tonnen im Jahr 1950 auf
derzeit rund 300 Millionen Tonnen pro Jahr - mindestens 8 Millionen
Tonnen davon landen jährlich im Meer. Dort zerbröselt Plastik in
winzige Teile, die von Tieren aufgenommen werden. Die Gefährlichkeit
des Ganzen ist noch nicht vollkommen geklärt. Krebserregende
Weichmacher aus dem Plastik finden sich aber sogar an den Polkappen
und in Tiefseekrebsen in rund 10 000 Metern Tiefe.

Die Agenda 21 forderte, Kunststoffe möglichst zu recyceln und Meere
vor Plastik und Chemikalien zu schützen. Es gibt punktuelle Erfolge:
Viele besonders gefährliche, langlebige Stoffe (POP), zu denen auch
einige Weichmacher im Plastik zählen, dürfen nicht mehr produziert
werden. Dennoch stecken sie noch in vielen Gegenständen. Ruanda in
Afrika, Bangladesch in Asien und andere Länder haben schon vor Jahren
Plastiktüten verboten. In Deutschland muss der Käufer immerhin für
einige Tüten zahlen, und in über 30 deutschen Städten gibt es
Supermärkte, die weitgehend ohne Verpackungen auskommen.

WÜSTEN

Zu wenig Geld, zu wenig Konzepte, zu wenig Engagement: Die Konvention
zur Bekämpfung der Wüstenbildung gilt als gescheitert. Statt über
konkrete Maßnahmen diskutierten die Staaten in den ersten Jahren vor
allem über Abläufe, Institutionen und immer wieder: Geld.

Währenddessen werden immer mehr Böden unfruchtbar, verursacht durch
den Klimawandel und Übernutzung: Bauern, die nicht nachhaltig
arbeiten können, lassen auf Dauer das Land veröden. Gerade die
ärmsten Länder sind am stärksten betroffen, etwa die Staaten südlic
h
der Sahara. Weltweit geht jedes Jahr eine Fläche verloren, die so
groß ist wie Niedersachsen und Bayern zusammen.

Lange Zeit wurde Wüstenbildung als regionales Problem wahrgenommen -
und nicht als eines, das zu mehr Armut, mehr Umweltverschmutzung und
mehr Migration führt. Kritiker monieren, dass die Weltgemeinschaft
deshalb lange keinen Grund für eine Zusammenarbeit sah. Erst seit
2012 müssen die 196 Mitglieder der Wüstenkonvention nach klaren
Kriterien Berichte über Fortschritte erstatten. Nach Schätzungen
entsteht der Welt durch Wüstenbildung jedes Jahr ein Schaden von 42
Milliarden US-Dollar.

BEVÖLKERUNGSWACHSTUM 

Die Spezies Mensch hat sich mit über 7,5 Milliarden Individuen auf
der Erde ausgebreitet - und dabei ungezählte Arten verdrängt.
Jährlich werden es derzeit 84 Millionen Menschen mehr. Das ist in
etwa die Einwohnerzahl Deutschlands. Zu den Gründen zählt die
Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW): Die Menschen werden immer
älter, eine hohe Kinderzahl ist in armen Ländern eine Absicherung
fürs Alter wie früher in Europa, und jede vierte Frau in
Entwicklungsländern kann nicht verhüten, obwohl sie es möchte. Eine
Folge seien 28 Millionen ungewollte Geburten pro Jahr und oft
lebensgefährliche Abtreibungen. Die Agenda 21 fordert in allen
Ländern für Frauen Bildung, Aufklärung und die Möglichkeit, frei
über
ihre Kinderzahl zu entscheiden.

Allerdings: Die Zahl der Kinder pro Frau geht deutlich zurück. Von
rund 3 im Jahr 1992 auf 2,5 im Jahr 2015. Wie sich die Bevölkerung
entwickelt, ist schwer vorherzusehen: Der UN-Bevölkerungsfonds
schätzt, dass es im Jahr 2100 zwischen 7 und 17 Milliarden Menschen
geben wird. Wichtig seien Bildung, der Zugang zu Verhütungsmitteln,
Armutsbekämpfung und eine bessere Gesundheitsversorgung. In Ländern
wie Thailand etwa, in denen immer mehr Kinder überleben, bekommen
Eltern weniger Babys. Thailand liegt bei 1,5 Kindern pro Frau - also
bei einer ähnlichen Größe wie Deutschland (1,4).