Kein Nachfolger in Sicht: Apotheker kämpfen um Nachwuchs Von Anna Ringle, dpa

Eine Apotheke gehört für viele zu einem Ort wie die Bäckerei oder der

Friseur. Doch in Deutschland geht die Zahl der Apotheken stetig
zurück - das macht sich besonders auf dem Land bemerkbar.

Neuzelle (dpa) - Eigentlich könnte Annerose Zerbe-Kunst jetzt ihre
Rente genießen. Doch die 66-jährige leitet weiter Tag für Tag ihre
Apotheke im brandenburgischen Neuzelle im Grenzgebiet zu Polen. «Ich
würde gerne aufhören», sagt sie. Schon vor Jahren begann die
Apothekerin die Suche nach einem Nachfolger - mit Anzeigen in
Zeitungen und Internet und mithilfe ihres Kontaktnetzes in der
Pharmaziebranche. Vergeblich, niemand wollte nach Neuzelle. Das ist
kein Einzelfall. In Deutschland sinkt die Zahl der Apotheken stetig.

Zu Jahresbeginn gab es laut dem Deutschen Apothekerverband (DAV)
bundesweit 20 023 Apotheken, so wenige wie nie seit der
Wiedervereinigung. In den vergangenen Jahren seien je etwa 200
Apotheken weggefallen - zum Jahresende könnte die Zahl deutlich unter
20 000 liegen. «Rückgänge gab es in allen Bundesländern», sagt
DAV-Vorsitzender Fritz Becker. «Aber sie haben für die Patienten in
unterschiedlichen Regionen unterschiedliche Auswirkungen: Gerade in
strukturschwachen Regionen, in ländlichen Gemeinden, aber auch in
Außenbezirken und Wohngebieten von Großstädten müssen wir wachsam
bleiben.» Versorgungslücken gebe es noch nicht, aber es dürften eben

auch keine entstehen.

Der Erholungsort Neuzelle ist mit seiner barocken Klosteranlage ein
Touristenmagnet in der Region. Mittendrin liegt Zerbe-Kunsts
Apotheke, es ist die einzige im Ort. Im Sommer kämen viele
Radtouristen, die Mittel gegen Sitzbeschwerden kauften, sagt die
Apothekerin. Aber vor allem lebe sie von der Stammkundschaft. Sie
versorge auch mit Liefertouren gerade ältere Menschen in umliegenden
Dörfern, wenn sie die Medikamente nicht selbst abholen können.

Apotheken in ländlichen Regionen, die abgelegene Ortschaften ohne
eigene Apotheke mitbetreuen, behelfen sich mit Rezeptsammelstellen.
Das Prinzip funktioniert so ähnlich wie ein Briefkasten: Täglich
werden die verschlossenen Behälter an einer öffentlich zugänglichen
Stelle geleert, Patienten werfen ihre Rezepte dort hinein. Danach
werden die Medikamente von der Apotheke besorgt und ausgeliefert.

In Sachsen etwa gab es 2016 laut der Landesapothekerkammer 86
Rezeptsammelstellen. Die Zahl sei seit Jahren konstant. Bei Apotheken
seien die Sammelstellen beliebt, es gebe viele Bewerber auf die
Standorte. Das System und der Betrieb von Rezeptsammelstellen sind in
der Apothekenbetriebsordnung gesetzlich geregelt. In Brandenburg
erwartet die Landesapothekerkammer, dass die Zahl der
Rezeptsammelstellen von derzeit 70 in den nächsten Jahren steigt.

Warum ist es so schwierig, in Neuzelle einen Nachfolger zu finden?
«Die Grenzregion und das Land sind große Hürden», sagt Apothekerin

Zerbe-Kunst. Großstädte seien für viele Kollegen attraktiver.
Zerbe-Kunst beschäftigt vier Mitarbeiter, aber kein Apotheker ist
darunter. Und nur mit dieser Berufsausbildung und Zulassung darf man
laut Gesetz eine Apotheke betreiben. «Ich mache erstmal weiter, so
lange ich kann», sagt Zerbe-Kunst. Wenn sie aufhört, müsste im
schlimmsten Fall die Apotheke geschlossen werden.

Das passierte vor Jahren im kleinen Hüffenhardt in Baden-Württemberg,
als der Inhaber der Apotheke in Ruhestand ging und keinen Nachfolger
fand. Dies nutzte der niederländische Versandhändler DocMorris mit
einer umstrittenen Idee. Er stellte eine Automatenapotheke auf und
eröffnete sie vergangene Woche. DocMorris-Apotheker in den
Niederlanden geben per Knopfdruck das Medikament frei, das aus dem
Automaten fällt. Beraten wird per Videochat. Vor Ort steht
kein Apotheker, sondern nur ein einfacher Mitarbeiter.

Schon nach gut 48 Stunden aber musste die Automatenapotheke nach
einer Entscheidung des Regierungspräsidiums Karlsruhe jüngst
schließen. Die Abgabe erfolge nicht in einer Apotheke und das Ganze
sei nicht Teil der Versandhandelserlaubnis des Unternehmens, hieß es.
DocMorris darf wegen des Fremdbesitzverbots keine Apotheken
hierzulande betreiben. Am Mittwoch teilte das DocMorris dann mit,
dass zumindest der Verkauf mit rezeptfreien Arzneimitteln wieder
angelaufen sei. Zudem sei Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe
gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums eingereicht worden.

In Berlin wird über den Versandhandel mit rezeptpflichtigen
Medikamenten heftig diskutiert. Gesundheitsminister Hermann Gröhe
(CDU) will ein Verbot erwirken. Der Europäische Gerichtshof hatte
2016 die deutsche Regelung verworfen, wonach die Preisbindung für
rezeptpflichtige Medikamente auch für ausländische Versandapotheken
gelten soll. Viele Apotheker hierzulande sehen sich so benachteiligt.

Der Deutsche Apothekerverband fordert eine Preisbindung für
rezeptpflichtige Arzneimittel mithilfe eines Versandverbots. Wenn die
Zukunftsaussichten stabil seien, könne man auch wieder mehr jungen
Leuten eine Perspektive in Apotheken auf dem Land bieten, meint
Vorsitzender Becker. Der Bundesverband Deutscher Versandapotheken
hält ein Verbot dagegen für falsch und plädiert für mehr Wettbewerb
.

In Brandenburg sieht der Präsident der Landesapothekerkammer, Jens
Dobbert, vor allem ein Manko. Bislang gebe es dort keinen Studiengang
Pharmazie an einer Universität. Gäbe es einen, würden einige
Studenten nach ihrer Ausbildung auch im Land bleiben, glaubt er. Und
die Nachwuchssuche dränge. «Das Rentenalter erreichen 30 Prozent der
Apothekeninhaber in Brandenburg innerhalb der nächsten zehn Jahre.»