WHO drängt zum Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen - Prioritätenliste Von Christiane Oelrich, dpa

Der Tod lauert da, wo Kranke vermeintlich gut aufgehoben sind: im
Krankenhaus oder Pflegeheim. Immer öfter schlagen Antibiotika bei
Patienten nicht mehr an. Es müssen dringend neue Stoffe her.

Genf (dpa) - Wenn Antibiotika nicht mehr anschlagen sind Ärzte
machtlos und Patienten ihrem Schicksal ausgeliefert. Schuld sind
Bakterien, die gegen alle verfügbaren Medikamente resistent geworden
sind. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist alarmiert. Jetzt hat
sie erstmals eine Liste mit den zwölf für die Menschheit
gefährlichsten Bakterienfamilien veröffentlicht. Sie rief Regierungen
am Montag in Genf auf, Anreize für Forscher in Universitäten und
Pharmafirmen zu schaffen, um neue Antibiotika zu entwickeln.

Betroffen seien Millionen Patienten in aller Welt, sagte Evelina
Tacconelli, Mitglied der Europäischen Gesellschaft für klinische
Mikrobiologie und Infektionskrankheiten (ESCMID). 60 Prozent der
Patienten mit schweren Infektionen, die sich nicht mit Antibiotika
behandeln lassen, sterben nach ihren Angaben. An Schätzungen über die
weltweite Zahl von tödlichen Infektionen durch Antibiotika-resistente
Bakterien wolle die WHO sich aber nicht beteiligen. Britische
Forscher nannten 2014 eine Zahl von weltweit 700 000 im Jahr.

Die WHO entwickelte die Liste mit Forschern der Universität Tübingen.
Das Thema soll bei einem G20-Treffen von Gesundheitsexperten nächste
Woche in Berlin zur Sprache kommen. «Wir brauchen heute und in
Zukunft wirksame Antibiotika, um übertragbare Krankheiten gut
behandeln zu können», sagte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe
(CDU). «Mit der Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie gehen wir im
Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen voran.» Krankheiten und
resistente Erreger würden keine Grenzen kennen und müssten global
bekämpft werden.

«Die Antibiotika-Resistenz wächst, und wir haben bald keine
Behandlungsmöglichkeiten mehr», sagte WHO-Expertin Marie-Paule Kieny.
«Wenn wir es allein den Marktkräften überlassen, werden die neuen
Antibiotika nicht rechtzeitig entwickelt.» Die Liste enthalte bewusst
nicht die Tuberkulose-Erreger, weil die Entwicklung neuer Medikamente
dafür bereits im Gange sei. Nach WHO-Angaben entwickeln allein
480 000 Menschen im Jahr eine Resistenz gegen
Anti-Tuberkulose-Mittel.

Besonders gefährlich seien Keime, die gegen mehrere Antibiotika
resistent sind, so die WHO. Diese Bakterien veränderten sich ständig
und werden so auch gegen neue Medikamente immun. Diese Immunität
könnten sie auch an andere Bakterien weitergeben. Zu den Gattungen
der gefährlichsten Keime gehören laut WHO etwa Acinetobacter,
Pseudomonas und Enterobacter. Zu letzteren gehören Kolibakterien, die
Durchfälle auslösen können.

«Wir wollen jetzt keine Panik über neue Supererreger verbreiten»,
sagte Kieny. «Es geht darum, die Forschungsanstrengungen zu
fokussieren.» Anreize könnten etwa Prämien für Pharmafirmen sein,
wenn ihr Medikament auf den Markt kommt.

Neben Transplantations- und Chemotherapiepatienten sowie Kranken, die
Katheter haben oder beatmet werden müssen, seien Bewohner von
Pflegeheimen besonders betroffen, sagte ESCMID-Mitglied Tacconelli.
Problem dort sei unter anderem «der unkontrollierte Einsatz von
Antibiotika». Nicht immer sei ein Arzt vor Ort, und Bewohner bekämen
teils Antibiotika, wenn es nicht nötig sei. Das führt dazu, dass umso
mehr Erreger resistent werden. Ältere Menschen hätten oft ein
geschwächtes Immunsystem und seien infektionsanfällig.