Präzision und Pudding-Laser - Nobelpreisträger Theodor Hänsch wird 75 Von Sabine Dobel

Vor zehn Jahren kämpfte er erfolgreich gegen seine
«Zwangspensionierung». Den Nobelpreisträger Theodor Hänsch treibt
noch immer Neugier ins Labor. Kurz vor seinem 75. Geburtstag ist der
Physiker einem neuen Rätsel der Quantenphysik auf der Spur.

München (dpa) - Es ist nur eine kleine Abweichung bei der Vermessung
eines Atomteilchens. Um vier Prozent kürzer als zuvor gedacht ist der
Radius eines Protons im Wasserstoffatom nach Berechnungen von Theodor
Hänsch und seinen Kollegen. Der Unterschied beträgt weit weniger als
einen Femtometer (billionstel Millimeter). Doch diese winzige
Diskrepanz treibt den Physiker derzeit immer wieder ins Labor.
«Vielleicht ist es nur ein Messfehler», sagt er. Wenn nicht - dann
wäre es eine Entdeckung, «wie sie in der Physik nur alle Jahrzehnte
vorkommt».

Elf Jahre nach seiner Auszeichnung mit dem Physiknobelpreis forscht
Hänsch an einem ungelösten Rätsel der Quantenphysik. Am Sonntag (30.

Oktober) wird er 75 Jahre alt. Seinen Geburtstag wird er mit Freunden
in Florenz verbringen. Dort ist er Ehrenbürger. Vor allem aber, sagt
er, hoffe er auf wärmeres Wetter. Im November gibt es in München ein
Symposium zu seiner Forschung.

Ursprünglich wollte Hänsch Kernphysiker werden. Dann zog ihn eine
damals völlig neue Lichtquelle in ihren Bann: der Laser. 16 Jahre
forschte Hänsch an der Stanford Universität in den USA. Ein
Doppelangebot der Universität München und des Max-Planck-Instituts
lockte ihn 1986 nach Deutschland zurück.

2005 bekam er für eine auf Lasern basierende hochgenaue Messtechnik
den Physik-Nobelpreis. Als er ein Jahr später ehrenvoll in Ruhestand
verabschiedet werden sollte, protestierte Hänsch vehement. Inzwischen
hat er an der Universität München eine unbefristete Carl Friedrich
von Siemens Professur und kann am Max-Planck-Institut für
Quantenoptik in Garching weiterarbeiten. Ruhestand - nicht in Sicht.
Forschen -«das ist meine Leidenschaft.» Er arbeite noch immer 60
Stunden in der Woche - oder auch mehr.

Aus seiner nobelwürdigen Entwicklung des Frequenzkamms, der mit Hilfe
ultrakurzer Lichtpulse die Schwingungen von Lichtwellen zählen kann,
sind praktische und kommerziell nutzbare Anwendungen entstanden. Das
«Lineal» aus Laserlicht ermöglicht extreme Genauigkeiten bei der
Messung von Entfernungen und von Zeit.

Die von Hänsch mitgegründete Firma «Menlo Systems» in Martinsried b
ei
München baut optische Instrumente, die etwa in der Astronomie neue
Möglichkeiten bei der Erforschung von Exoplaneten eröffnen. Die
ersten Teleskope arbeiten bereits damit. «Sensationsmeldungen gibt es
bisher nicht», sagt Hänsch über die Ergebnisse dieser neuen «Augen
»
ins Weltall. «Die Astronomen müssen auch erst einmal lernen, damit
umzugehen.»

Währenddessen ist er selbst dabei, weitere Anwendungsmöglichkeiten
für seinen Frequenzkamm zu entwickeln. «Man kann damit breitbandige
Molekülspektren erfassen. Das heißt: den molekularen Fingerabdruck.»

In der Praxis könnte das bedeuten: Eine Diagnosemöglichkeit in der
Medizin auf molekularer Ebene, ohne Kontrastmittel, Gewebeentnahme
oder andere Eingriffe. Vielleicht könnten künftig so krankhafte
Veränderungen von Krebs bis zu Entzündungen schonend erkannt werden.
Er müsse sich schließlich beeilen, der zu Medizin zu helfen, damit
die Menschen älter werden, sagte er kurz vor seinem 75. Geburtstag.

Wissenschaft faszinierte Hänsch von früh an. Mit Eltern und
Geschwistern wohnte er in der Bunsenstraße in Heidelberg - genau in
dem Haus, in dem der Chemiker Robert Bunsen ein Jahrhundert zuvor
gelebt hatte. Als er den Vater fragte, was Bunsen denn getan habe,
brachte dieser einen Bunsenbrenner nach Hause. So hatte Hänschs
allererstes Experiment bereits mit Licht zu tun: Der Vater streute
Kochsalz in die Flamme, die sich sofort gelb färbte. Licht -
wenngleich von Lasern - beschäftigt Hänsch bis heute.

Wann immer Zeit ist, zieht es ihn an den Labortisch. «Manchmal ist er
plötzlich weg - dann finde ich ihn im Labor», sagt seine persönliche

Referentin Gabriele Gschwendtner. Sie arbeitet seit fast 23 Jahren
mit ihm zusammen und weiß in solchen Fällen: Er hat gerade eine Idee,
die er sofort überprüfen will. Sie hält ihm den Rücken dafür frei
-
damit er noch so lange wie möglich weiterforschen kann.

Hänsch gilt als exzellenter Experimentator. Manches entsteht
spielerisch. Auf dem Weg zu seinem Frequenzkamm hatte Hänsch einen
Laser beiläufig auf einen Wassertropfen gerichtet, der plötzlich
selbst zum Laser wurde und grün strahlte. Um zu beweisen, dass
letztlich jedes Material Lasermedium werden kann, kochten er und
seine Kollegen tagelang Pudding. Mit Gelatine gelang das Experiment:
Die Forscher wurden mit ihren essbaren Wackelpudding-Laser-Varianten
bekannt.

Manche Entdeckung sei zufällig entstanden, und oft seien weder die
Bedeutung für die Wissenschaft noch der Nutzen für die Menschheit
gleich klar, sagt Hänsch. So sei es nun auch mit der vierprozentigen
Abweichung des Radius eines Protons im Wasserstoffatom, die sich mit
einer speziellen Messart ergab und nach den geltenden physikalischen
Gesetzen nicht sein dürfte. «Das könnte heißen, dass wir Spielregel
n
nicht richtig erkannt haben», sagt Hänsch. Das wiederum würde
bedeuten, dass wesentliche Grundsätze der Quantenphysik in Frage
gestellt wären.

«Wenn er so weiterforscht, bekommt er noch einen Nobelpreis», sagt
Gschwendtner, die schon vor elf Jahren den Anruf aus Stockholm
entgegengenommen und den gesamten Nobel-Trubel gemanagt hatte.
«Verdient hätte er ihn.» Hänsch sagt es in seiner bescheidenen Art:

«Wir sind an einem Rätsel angelangt, das wir noch nicht lösen könne
n.
Welche Bedeutung das hat, wissen wir noch nicht.»