Diagnose Stottern - «Viele Betroffene vermeiden das Sprechen» Von Claudia Bonati, dpa

Er ist mit Sicherheit kein typischer Stotterer, aber Menschen wie
Malte Spitz können dafür sorgen, dass sich das Bild von Menschen mit
Redefluss-Störung wandelt.

Bad Emstal (dpa) - Malte Spitz lacht laut, wenn er gefragt wird, ob
er Deutschlands bekanntester Stotterer ist. «Ob ich das bin, weiß ich
nicht, aber ich bin einer von denen, die offen darüber sprechen»,
erklärt der Politiker von Bündnis 90/Die Grünen. Gestottert hat der
32-Jährige schon immer. «Es fing im Kindergarten an.» Anfangs
besuchte er noch Logopäden, später entschied er sich bewusst gegen
weitere Therapien. Genügend Selbstbewusstsein spielt mit
Sicherheit eine Rolle. Der Buchautor nahm sich vor, sich in seiner
Lebensplanung auf keinen Fall einschränken zu lassen. Das ist ihm
gelungen. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und hat in seiner
Partei hohe Ämter errungen. 

Typisch ist das nicht. «Viele Betroffene vermeiden das Sprechen»,
weiß Alexander Wolff von Gudenberg, Institutsleiter der Kasseler
Stottertherapie und Facharzt für Allgemeinmedizin, Stimm- und
Sprachstörungen. Aus Angst vor der Blamage würden sich viele
Stotterer für eher non-verbale Berufe entscheiden. Der Tag des
Stotterns an diesem Samstag soll auf das Problem aufmerksam machen.

Von Gudenberg, der selbst vom Patienten zum Therapeuten wurde, kennt
das Problem: «Ich musste selbst viele Demütigungen einstecken»,
erinnert er sich. In 25 Jahren hat er zwölf Therapien auf
drei Kontinenten besucht. Inzwischen kommt er mit der Krankheit gut
zurecht. Er braucht nur manchmal länger, um auf überraschende Fragen
zu reagieren, wählt die Wörter bewusst und mit Bedacht. 

Von Gudenberg selbst und Spitz gehören zu dem Typ, den von Gudenberg
den «Ich will es allen zeigen»-Typus nennt. Traurig sei bei dem
Krankheitsbild allerdings, dass Betroffene die Krankheit oft als
«traumatisierend» erlebten. «Die Krankheit kann zu anderen Probleme
n
führen, in Extremfällen sogar zu Suizid-Neigung und Alkoholismus»,
so
von Gudenberg.

800 000 Deutsche, 1 Prozent der Bevölkerung, stottern. Die
Veranlagung tragen viele Menschen in sich, doch nicht bei jedem wird
das Stottern zwangsläufig ausgelöst. Traumatische Erlebnisse in der
Kindheit, beispielsweise die Scheidung der Eltern oder ein Unfall,
sind nicht die Ursache des Stotterns, sondern meist Auslöser und
begünstigen somit das Auftreten der neurologischen Erkrankung. 

«Je eher die Krankheit behandelt wird, desto erfolgreicher ist die
Therapie», fasst von Gudenberg zusammen, der in seinem Insitut in Bad
Emstal bei Kassel etwa 300 Patienten pro Jahr behandelt. Eine gute
Therapie müsse langfristig erfolgreich sein, denn die Rückfallquote
sei hoch. Hat sich das Stottern bis ins Erwachsenenalter nicht
gegeben, bestehen nur geringe Aussichten auf vollständigen Rückgang.

Für Malte Spitz ist der Umgang mit der Krankheit einfach. «Der
sinnvollste Schritt ist, sich nicht zu verstecken», sagt er. Früher
habe er wichtige Reden oft zwischen 20 und 40 mal geübt. Vor dem
Spiegel, im Stehen, wann immer sich die Gelegenheit bot. «Ich habe
wie ein Sportler trainiert.» Inzwischen ist er routiniert und spricht
flüssig. Nur manchmal holt er Luft oder stellt den Satz um. 

Spitz ärgert, dass die Krankheit noch oft ein Tabu sei. Selten werde
er offen auf das Stottern angesprochen. Sein Wunsch für die Zukunft
ist daher: «Ein normaler Umgang mit Stotterern.» Hilfreich wäre es
seiner Meinung nach, wenn Medien ganz selbstverständlich Stotterern
einen Platz einräumen würden. Beispielsweise als Sprecher in
Nachrichtensendungen. Würde dort entspannt mit Betroffenen
umgegangen, wäre das auch in der Gesellschaft schnell akzeptiert. Bei
von Gudenberg fällt der Vergleich mit den vergangenen Jahrzehnten
positiv aus. «Man muss sagen, dass Lehrer inzwischen besser darauf
vorbereitet werden, mit Behinderungen umzugehen.»