«VW-Weg» im Stresstest: Betriebsrat bei Autobauer geht in Kraftprobe Von Heiko Lossie, dpa

Auf offener Bühne und vor versammelter Mannschaft: Am Donnerstag war
es bei Volkswagen soweit, mehr als 20 000 Mitarbeiter lauschten einem
Zwischenstand zum «Zukunftspakt». Der Pakt soll mehr sein als nur ein
Sanierungstarifvertrag. Und genau das macht ihn hochexplosiv.

Wolfsburg (dpa) - Für Belastungsproben taugt eitel Sonnenschein kaum.
Denn erst in der Krise zeigt sich, wie solide Partnerschaften sind.
Insofern passen die Zeiten bei VW derzeit, um die große Besonderheit
des Autobauers einem echten Stresstest zu unterziehen: Bei VW sind
die Beschäftigung und die Wirtschaftlichkeit gleichberechtigte Ziele
des Unternehmens. Zumindest bisher. Niemals sollen Jobs nur für die
Rendite geopfert werden - das nennen sie in Wolfsburg voller Stolz
auch den «Volkswagen-Weg». Doch dem drohen nun neue Vorzeichen.

Gegärt hatte es bereits seit Monaten. Denn eisern sparen will VW bei
seiner Pkw-Hausmarke um Golf und Passat schon seit 2014. Doch der
milliardenteure Skandal um elf Millionen manipulierte Diesel hat die
Not der renditeschwachen Marke mit dem VW-Logo vergrößert, Ende 2015
war sie sogar in die Verlustzone gerutscht - trotz solider Verkäufe.

In dem Ringen um Auswege für einen «Zukunftspakt» weicht bei VW nun
eine Mischung aus Sorgen, Gerüchten und Hoffnung einem neuen Gefühl:
erster Gewissheit. Was kaum greifbar war, wurde am Donnerstag klarer.
VW-Markenchef Herbert Diess legte auf größer Bühne den Finger in die

Wunde - bei einer Betriebsversammlung im Wolfsburger Stammwerk. «Wir
müssen die Mannschaft verkleinern», sagte er. Mit solchen Sätzen
macht sich kein Manager vor Beschäftigten beliebt. Doch Pfiffe und
Buh-Rufe gab es nur vereinzelt, sagen Teilnehmer übereinstimmend.
Einer meint: «Es war ein bisschen wie beim Arzt, wenn man als Patient
merkt, dass jetzt Befürchtungen zu einer Diagnose werden könnten.»

Diess mahnte zur Vorsicht bei der Leiharbeiterübernahme. Er sagte
auch, die Experten der Technischen Entwicklung könnten künftig lieber
40- statt 35-Stunden-Wochen schieben. Dafür soll die Grundvergütung
steigen und er will das laut Stimmen aus seinem Umfeld vor allem als
Wertschätzung für die Arbeit der Ingenieure verstanden wissen. Aber
rasch wirken solche Aussagen derzeit wie Sparziele: Mehr machen mit
denselben Leuten - als seien die nicht schon am Anschlag.

Entsprechend in Alarmstimmung wirkte andererseits VW-Arbeitnehmerboss
Bernd Osterloh: «Ich kann mir vorstellen, dass der eine oder andere
Vorstand hier in der Halle am liebsten auch über Entlassungen und
Werksschließungen reden würde.» Aber dem schiebe der Betriebsrat auf

jeden Fall einen Riegel vor. «Dafür stehe ich persönlich ein.»

Osterloh ist Diess' Gegenspieler, nicht nur von Amts wegen. Schon vor
einem Jahr warf er Diess, der Mitte 2015 von BMW in die Wolfsburger
VW-Spitze eingezogen war, Alleingänge sowie Kommunikationsmängel und
fehlendes Teamplay vor. Osterloh sah die Axt an der Mitbestimmung
angelegt, was den «sozialen Frieden» und die «Zukunftsfähigkeit»
bei
VW gefährde. Auch am Donnerstag betonte er, dass sich Zugeständnisse
und Zukunftsperspektiven für eine Lösung die Waage halten müssten.

Dass der VW-Weg unter dem Druck des Diesel-Skandals leiden könnte,
ist schon lange ein Schreckgespenst beim Betriebsrat. Seine Stärke
erwuchs aus Jahrzehnten, dieser Umstand hat historische Wurzeln.

Im Frühling schon hieß es, Diess wolle bis Ende 2017 jeden zehnten
VW-Verwaltungsjob abbauen. Der Aufschrei war groß, es ging um mehr
als 3000 Stellen. Heute ist klar: Sogar Jahr für Jahr könnten mittels
Altersteilzeit und Frührente demnächst bis zu 2500 Jobs wegfallen.
«Wo Aufgaben entfallen, werden wir Stellen nicht wieder besetzen»,
sagte Konzern-Personalchef Karlheinz Blessing am Donnerstag. Doch für
neue Aufgaben werde andererseits aufgebaut. Unklar ist, wie negativ
der Saldo bei VW am Ende herauskommt, wie hoch das Tempo sein muss.

Unsicherheit geht daher um. Etwa in der Verwaltung, wo Büroaufgaben
mit der Digitalisierung entfallen könnten. Oder in Salzgitter bei den
Motorenbauern. Denn die künftige Elektromobilität geht auf Kosten von
Benzinern und Dieseln. Sie benötigt auch keine klassischen Getriebe
mehr, wie sie die Kollegen in Kassel herstellen. Nicht alle Werker,
die das trifft, können nun umgeschult werden auf Jobs von Morgen. Und
auch in Frührente mag womöglich mancher nicht gehen, der bald soll.

Diese neuen Vorzeichen und der Diesel-Sparzwang stellen den VW-Weg
vor eine Belastungsprobe. Ein Teil der Wolfsburger DNA scheint in
Gefahr. Parallelen aus der jüngeren Wirtschaftsgeschichte drängen
sich auf: Opel, Nokia oder AEG/Electrolux. Osterloh bürgt für andere
Szenarien. Aber reicht das?

Wer die besondere Stellung des Faktors Arbeit bei VW verstehen will,
muss eintauchen in die Geschichte: Die Nazis bauten das VW-Stammwerk
mit enteignetem Vermögen der Gewerkschaften. Die verzichteten nach
dem Krieg nur deshalb auf Eigentumsklagen, da die britischen Besatzer
einen demokratischen Betrieb schufen, in dem Arbeit und Kapital
gleichberechtigt sind. Eine erste Vereinbarung zur besonderen Macht
des Betriebsrats mit weitreichenden Veto-Rechten datiert bereits auf
Mai 1947. Sie hält bis heute.

Auf dem «VW-Weg» müssen sich für den Zukunftspakt nun ausgerechnet

Diess und Osterloh zusammenraufen. Osterlohs Leute nennen Diess einen
«sozialen Autisten», die Gegenseite bezeichnet Osterloh schon mal als
«Zwitter aus Bulldozer und Diva». Der Zukunftspakt ist auch der Pakt
dieser zwei Gegner. Sie müssen in der Krise zeigen, wie belastbar die
besondere Partnerschaft bei VW noch ist. Ihr Pakt soll bald stehen.