«Nur eine privilegierte Gruppe stirbt im Hospiz» Von Claudia Bonati, dpa

Heim oder Hospiz: Die Frage nach dem Sterbeort beschäftigt die
Deutschen. Hochgelobte Hospize kontra schlecht ausgestattete Heime.
Dabei könnte ein einfacher Aufschlag schnell Abhilfe schaffen.

Kassel (dpa) - Ein Besuch im Konzert? Was so einfach klingt, kann zur
logistischen und personellen Höchstleistung werden, wenn es sich bei
dem Besucher um einen schwerstkranken Hospiz-Bewohner handelt. Aber
im bundesweit ersten Mehrgenerationenhospiz in Nordhessen gehören
Sonderwünsche zum Alltag. «Wir sind immer dann da, wenn es zu Hause
nicht mehr geht», sagt Viviane Clauss, die Pflegedienstleiterin im
Kasseler Heilhaus. Sie hat einem Bewohner kürzlich mit einem
Konzertbesuch einen Herzenswunsch erfüllt.

Spaziergänge, Gespräche - im Heilhaus ist immer jemand zur
Stelle. Im Seniorenheim Parkhöhe Lindenfels versucht Leiter Andreas
Männicke mit seinem Team ebenfalls alles möglich zu machen, aber es
ist ungleich schwerer, die individuellen Wünsche zu berücksichtigen.
Das Personal ist knapp. «Der Sterbeprozess ist aufwendiger als die
normale Pflege», sagt Männicke. «Wir müssen das halt irgendwie mit

dem Budget hinkriegen. Uns ist das ein Bedürfnis.» Oft geht er mit
seinem Team dafür an die Grenzen. Entlastung ist kaum in Sicht. Dabei
kennt er die Lösung: «ein Palliativ-Aufschlag für Pflegeheime». D
ie
ärztliche Dokumentation ist vorhanden. Der administrative Aufwand
würde sich in Grenzen halten. So könnten die Qualitätsunterschiede
zwischen Heim und Hospiz schnell verwischen. 

Denn zwischen Hospiz und Pflegeheim liegen Welten. «Der
Personalschlüssel im Hospiz ist fast doppelt so hoch wie im
Pflegeheim», so Herbert Mauel, Geschäftsführer des Bundesverbands
privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), der mit mehr als 9000
Mitgliedseinrichtungen die größte Interessenvertretung privater
Anbieter sozialer Dienstleistungen ist. «Nur eine kleine,
privilegierte Gruppe stirbt im Hospiz.» Dabei seien Heime die
eigentlichen Sterbeorte. Die Versorgung dort sei gut, im Hospiz sei
sie aber deutlich besser. Mauel fordert von der Politik eine
Reduzierung der Vorschriften und eine Sterbephase, die finanziell von
den Krankenkassen getragen werde. 

«Stationäre Hospize sind wichtig. Die Aufnahme im Hospiz erfolgt aber
erst dann, wenn eine Versorgung zu Hause nicht mehr möglich ist»,
berichtet Benno Bolze, Geschäftsführer des Deutschen Hospiz- und
Palliativ Verbands (DHPV). «Rund drei Prozent der Menschen, die in
Deutschland im Jahr sterben, sterben im Hospiz», bilanziert er. Es
gelte der Grundsatz «ambulant vor stationär». Die meisten Menschen
wollten dort sterben, wo sie gelebt haben - zu Hause. Oft sei auch
das Pflegeheim das Zuhause geworden. Wichtig sei dem DHPV, dass in
Pflegeeinrichtungen die hospizliche und palliative Arbeit weiter
ausgebaut werden. Da sei «vieles bereits auf gutem Weg, aber wir sind
noch nicht am Ziel», so Bolze. Mehr Personal und vor allem mehr
qualifiziertes Personal seien unabdingbar.

Ähnlich sieht das die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer (BÄK),

Martina Wenker: «In Pflegeheimen fehlt uns einfach Personal. Das
sieht in den Hospizen schon anders aus. Da haben wir einen besseren
Personalschlüssel und mehr qualifizierte Fachkräfte.» Daraus könne

den Pflegeheimen kein Vorwurf gemacht werden. Aber es müsse deutlich
nachgebessert werden. Wichtig sei, dass «ein würdevolles Sterben in
ruhiger Umgebung» möglich werde. Der demographische Wandel sorge
dafür, dass die Zeit dränge. Das Gesetz zur Verbesserung der Hospiz-
und Palliativversorgung müsse «spürbar ankommen und weiterentwickelt

werden».? 

Der Geschäftsführer des Kasseler Heilhauses, Gerhard Paul, hat eine
klare Forderung: «Es darf nicht zum Minutensterben kommen.» Das
Sterben müsse in den Mittelpunkt rücken, auch wenn sich das nicht
rechne. So handhaben er und sein Team es auch in Kassel. Nicht nur
der Konzertbesuch, auch die Teilnahme an einer Hochzeit wurde im
Mehrgenerationenhospiz schon verwirklicht. «Rollstuhlfahrer gehören
zum Alltag, Besucher im Bett ernten noch überraschte Blicke», so
Pflegedienstleiterin Clauss, die mit ihrem Team jeden Tag daran
arbeitet, dass sich ein Gedanke in der Gesellschaft durchsetzt:
«Sterben gehört zum Leben.»