Nötig oder Gängelung? EuGH verhandelt Medikamenten-Preisbindung

Können rezeptpflichtige Medikamente bald billiger aus dem EU-Ausland
bestellt werden? Apotheker in Deutschland blicken gebannt auf ein
nahendes EuGH-Urteil.

Luxemburg (dpa) - Von Garmisch-Partenkirchen bis Flensburg: Ein
einzelnes verschreibungspflichtiges Medikament kostet in Deutschland
in jeder Apotheke stets dasselbe. Dafür sorgt die
Medikamenten-Preisbindung. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) könnte
dieses System zum Wanken bringen. Anlass ist ein Rabattsystem der
Parkinson Vereinigung in Deutschland.

Wie funktioniert die Medikamenten-Preisbindung in Deutschland?

Medikamenten-Hersteller - also die Pharmaunternehmen - können
zunächst einmal selbst festlegen, zu welchen Preisen sie Arzneimittel
an Apotheken und Großhändler abgeben. Diese erheben dann auf ihre
Einkaufspreise gesetzlich festgeschriebene Zuschläge. Für ein
rezeptpflichtiges Medikament gilt immer derselbe Aufpreis. Er beträgt
drei Prozent des Einkaufspreises. Zusätzlich dürfen Apotheken pro
Packung 8,10 Euro berechnen.

Ein bestimmtes verschreibungspflichtiges Medikament kostet deshalb in
jeder Apotheke, in jedem Ort, gleich viel. Bei gesetzlich
Versicherten zahlen den Preis - abgesehen von bestimmten Zuzahlungen
- die Krankenkassen, er gilt aber genauso für privat Versicherte.

Warum gibt es sie?

Die Preisdeckelung soll nach Angaben des
Bundesgesundheitsministeriums gewährleisten, dass Medikamente nicht
zu teuer werden und dass damit die Krankenkassenbeiträge bezahlbar
bleiben. Ein weiteres Ziel sind demnach gleiche
Wettbewerbsbedingungen und ein flächendeckendes Apothekennetz in
allen Regionen Deutschlands.

Was bedeutet dies für Patienten?

Egal ob in Koblenz, Gera oder auf Sylt: Patienten können sich darauf
verlassen, dass ein jeweiliges rezeptpflichtiges Medikament überall
dasselbe kostet. «Kranke sollen in ihrer besonderen Bedarfssituation
nicht auch noch Preise zwischen Apotheken vergleichen müssen», heißt

es dazu außerdem vom Bundesgesundheitsministerium.

Worum genau geht nun der Streit vor dem EuGH?

Im nun verhandelten Fall war die Selbsthilfeorganisation Deutsche
Parkinson Vereinigung eine Kooperation mit der niederländischen
Versandapotheke DocMorris eingegangen. Die Mitglieder konnten von der
Apotheke Boni für rezeptpflichtige Parkinson-Medikamente bekommen.
Nach Ansicht der deutschen Zentrale zur Bekämpfung unlauteren
Wettbewerbs verstößt das aber gegen die in Deutschland gesetzlich
vorgeschriebene Festlegung eines einheitlichen
Apothekenabgabepreises.

In erster Instanz hatte die Wettbewerbszentrale mit ihrer Klage
Erfolg. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte in dem Fall nun den
EuGH einbezogen. Dort geht es nun auch grundsätzlich um die Frage, ob
die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente
mit dem freien Warenverkehr in Europa vereinbar ist oder ob etwa
Online-Apotheken aus dem Ausland sie unterlaufen dürften.

Was sagen die Apotheker dazu?

«Es ist der Tag, auf den alle Apotheker in Deutschland in gespannter
Erwartung schauen», sagt der Sprecher Bundesvereinigung Deutscher
Apothekerverbände, Reiner Kern. «In der Fläche gibt es viele kleinere

Apotheken, die keine großen wirtschaftlichen Spielräume haben.» Sie
böten allerdings ein Vollsortiment und erfüllten zudem wichtige
Gemeinwohlaufgaben. «Sie beraten, leisten Nacht- und Notdienste»,
sagt Kern. «Wenn sich Versandhändler die Rosinen rauspicken, würden
diese Apotheken und letztlich dann auch die Patienten die
Auswirkungen spüren.»

Welche Folgen könnte ein Urteil haben?

Ein wichtiger EU-Gutachter am EuGH, Generalanwalt Maciej Szpunar,
hatte im Juni argumentiert, die deutsche Preisbindung sei nicht mit
EU-Recht vereinbar. Sie beschränke den freien Warenverkehr in Europa
und stelle ein Handelshemmnis für Medikamente aus anderen EU-Staaten
dar. «Ganz abgesehen davon könnte es ohne eine Preisbindung zu
niedrigeren Preisen kommen, was dem System der sozialen Sicherung
zugutekommen könnte», führte er weiter aus.

Die EuGH-Richter folgen in vielen Fällen der Empfehlung des
Gutachters. Tun sie dies auch hier, könnte im äußersten Fall das
deutsche Preisbindungs-Modell auf der Kippe stehen.