Zustimmung und Kritik für Spitzensport-Reform - «Medaillensport» Von Stefan Tabeling und Sandra Degenhardt, dpa

Der Entwurf der Leistungssport-Reform hat im deutschen Sport für
Diskussionsstoff gesorgt. Dass alles dem Erfolg untergeordnet wird,
gefällt nicht allen. Die Verteilung der Gelder dürfte noch für
Konflikte sorgen.

Berlin (dpa) - Großer Wurf auf dem Weg in eine neue Ära oder doch das
Ende der sportlichen Vielfalt in Deutschland? Das Eckpunkte-Papier
zur Reform der Leistungssportförderung hat unter Sportlern,
Funktionären und Experten kontroverse Diskussionen ausgelöst. Die
Zustimmung für das Modell überwiegt, auch weil allen Beteiligten klar
ist, dass es ein «Weiter so» nicht geben kann. Klar ist aber auch:
Die Reform wird nicht nur Gewinner hervorbringen. Notorisch
erfolglose Sportarten drohen Kürzungen bis hin zu einem Förderstopp,
die Verbände werden an Macht verlieren, und die Konzentration auf
weniger Stützpunkte dürfte kaum geräuschlos ablaufen.

«Wir sind auf dem Weg. Generell ist der Ansatz zu begrüßen, den
Leistungssport in Deutschland zu reformieren. Ich denke auch, dass
das Reformkonzept eine ganze Reihe vernünftiger, interessanter
Ansatzpunkte hat», sagte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen
Leichtathletik-Verbandes (DLV), am Donnerstag der Deutschen
Presse-Agentur. Auch die frühere Weltklasse-Schwimmerin Franziska van
Almsick hielt eine Änderung des Fördersystems für dringend notwendig:

«Der große Schritt ist wahrscheinlich damit gemacht, aber das wird
nicht der letzte Schritt sein. Ich hoffe, dass die Reform eine
Nachhaltigkeit hat.»

Am Mittwoch hatten Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Alfons
Hörmann, der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes, den Entwurf
der Leistungssport-Reform dem Sportausschuss des Deutschen
Bundestages vorgestellt. «Potenzialorientiert», heißt nun das
Zauberwort. Insbesondere Sportler und Disziplinen mit großen
Medaillenchancen sollen künftig stärker unterstützt werden. Fehlt
dagegen eine Perspektive, können ganze Disziplinen durch das Raster
fallen. Dafür wird auch die Struktur der Stützpunkte verändert. Die
Olympia-Stützpunkte sollen zukünftig von 19 auf 13 reduziert werden,
was vor allem Baden-Württemberg (drei Streichungen) und
Nordrhein-Westfalen (zwei) treffen wird. Bei den Bundesstützpunkten
sollen rund 20 Prozent wegfallen.

Die ganz auf den Erfolg ausgerichtete Sichtweise sorgt für Kritik.
«Diese Ausrichtung ist ehrlich und vernichtend zugleich. Die Politik
und der DOSB sagen endlich, um was es geht. Mit dem Modell wird der
Hochleistungssport zum Medaillensport», monierte Anti-Doping-Experte
Fritz Sörgel. Den Satz von Innenminister de Maizière, Deutschland
solle erfolgreich sein, aber fair und sauber, hält der Pharmakologe
kaum für umsetzbar. «Der Ausspruch kann in Zukunft im Sprachgebrauch
den Begriff der 'Quadratur des Kreises' ersetzen.»

Das Ziel der Reform ist klar: Deutschland soll deutlich mehr
Medaillen gewinnen. Dass sich die Anzahl der Plaketten seit 1992 in
Barcelona (82) bis Rio 2016 (42) fast halbiert hat, ist für de
Maizière ein Alarmsignal. Ausschließlich auf den Medaillenspiegel zu
schauen, hält Prokop aber für falsch. «Es gibt Sportarten, in denen
die internationale Konkurrenz aus 200 Ländern kommt, aber es gibt
auch welche - zum Beispiel im Winter -, in denen ganze Kontinente
nicht vertreten sind. Dadurch werden Sportarten mit geringerer
internationaler Konkurrenz bevorteilt», merkte der DLV-Chef an.

Einige Sportarten bzw. Disziplinen gehen unter dieser Maxime schweren
Zeiten entgegen, wie das Synchronschwimmen oder das nach unzähligen
Dopingfällen schwer in Verruf geratene Gewichtheben. Deutsche
Athleten waren in Rio chancenlos. Womöglich auch, weil in vielen
osteuropäischen Ländern mit fragwürdigen Mitteln gearbeitet wird.
«Wir haben die Potenziale. Deswegen gehe ich davon aus, dass wir
weiter vom DOSB und BMI gefördert werden», sagte Frank Mantek, der
Sportdirektor des Bundesverbandes Deutscher Gewichtheber.

Zukünftig sollen die einzelnen Disziplinen in drei Gruppen eingeteilt
werden. Das Exzellenzcluster erfährt die größtmögliche Förderung,
das
Potenzialcluster wird mit Abstrichen unterstützt, das Cluster ohne
Medaillenchancen bekommt dagegen wenig bis gar nichts. Das dürfte für
Konfliktstoff sorgen. «Ich erwarte aber, dass es weiterhin für alle
Verbände eine Grundförderung gibt, damit jeder eine Chance hat, sein
Potenzial zu entwickeln», sagte Präsident Rainer Brechtken, der
Präsident des Deutschen Turner-Bundes (DTB).

Was sich aber auf jeden Fall abzeichnet, ist der schwindende Einfluss
der Verbände, was diese kaum klaglos hinnehmen werden. So werden
zukünftig das BMI und der DOSB über die Verteilung der Gelder
entscheiden. «Jeder wird sich umstellen müssen, aber so ist das bei
einem Neubeginn», sagte Siegfried Kaidel als Sprecher der olympischen
und nichtolympischen Spitzenverbände. Bislang stellt das BMI jährlich

163 Millionen Euro zur Verfügung.

Eine ständige Kommission, die vom BMI mit rund 500 000 Euro jährlich

finanziert werden soll, ist für die Bewertungen von Athleten und
Disziplinen vorgesehen. Dies soll durch ein Potenzialanalyse-System
(Potas) geschehen, das 20 Attribute erfasst. Damit können sich nicht
alle anfreunden. «Wir dürfen nicht von Computermodellen bei der
Einstufung der Förderung erschlagen werden», sagte Brechtken, und die
zweimalige Olympia-Zweite Franziska Weber merkte an: «Ich weiß nicht,
wie eine Software das Potenzial oder die Entwicklung eines Sportlers
errechnen möchte.» Prokop befürchtet einen großen Bürokratieaufwa
nd.

Ein weiterer zentraler Punkt ist die Konzentrierung auf weniger
Stützpunkte, was van Almsick befürwortet: «Es ist wichtig, dass die
besten Athleten miteinander trainieren und voneinander profitieren
können». Man muss die Konkurrenz im eigenen Land schlagen und sich
ihr jeden Tag stellen. Wer den Druck im eigenen Land nicht aushält,
der hält den auch bei den Olympischen Spiele nicht aus.» Und da geht
es schließlich um die Medaillen.