Ohne ferne Reize - wenn Kinder zu arm für Urlaub sind Von Basil Wegener, dpa

Ferienzeit - tolle Zeit. Auch wegen Urlaubsreisen sind für viele
Kinder die Ferienwochen besonders schön. Doch Millionen Familien sind
schlicht zu arm für eine Reise.

Berlin (dpa) - Jede Menge Zeit mit den Eltern, tolle Erlebnisse, neue
Eindrücke - für viele Kinder in Deutschland sind oder waren ihre
Urlaubsreisen das Highlight der zu Ende gehenden Sommerferien. Andere
freuen sich schon auf eine Tour im Herbst. Doch Millionen Familien
können sich keinen Urlaub mit den Kindern leisten - ein Entbehrung
von vielen für ärmere Familien. Ein Überblick:

Wie viele Minderjährige müssen aus Geldnot auf Urlaub verzichten?

Zwischen 4,6 und 3,4 Millionen Kinder und Jugendliche - so stark
schwankten die Zahlen seit Beginn der Erhebung 2008. Zuletzt waren es
2014 mehr als 3,4 Millionen Unter-18-Jährige und 16,7 Millionen
Menschen in Deutschland insgesamt. Gefragt wurde, ob sich der
Haushalt mindestens eine Woche pro Jahr Urlaub woanders als zu Hause
leisten kann. Ergebnisse für 2015 werden im November erwartet.

Woher stammen die Zahlen?

Aus einer Umfrage «Leben in Europa», die das Statistische Bundesamt
für das Europäische Statistikamt Eurostat erhebt. Mehr als 12 000
Haushalte werden dafür per Fragebogen nach allen möglichen Dingen
befragt, die sie sich leisten können - oder auch nicht.

Ist Urlaub für Kinder wichtig?

Ja. Laut einer Umfrage des Instituts YouGov finden etwa 59 Prozent,
dass Mama und Papa im Urlaub glücklicher sind als im Alltag. Für
sieben von zehn Elternpaaren ist Zeit mit den Kindern die
Urlaubsaktivität Nummer eins. Etwa zwei Drittel der Eltern haben laut
einer Umfrage des Instituts Sinus im Auftrag der AOK eine schöne Zeit
in der Familie im gemeinsamen Urlaub. Und: Reisen kann auch Kinder
bereits schlau machen - denn fremde Reize, andere Sprachen, Tiere,
Farben, Düfte oder Geräusche verbessern die Fähigkeit des Gehirns,
Wissen zu erwerben, sich zu strukturieren, Lernerfahrungen zu
sammeln. Darauf wies der Hildesheimer Hirnforscher Kristian
Folta-Schoofs vor wenigen Jahren in einem Interview hin.

Wie ist die Lage in anderen europäischen Ländern?

Während in Deutschland 23,8 Prozent der Minderjährigen vom finanziell
begründeten Urlaubsverzicht betroffen sind, sind es etwa in
Österreich 22,3 Prozent, in Dänemark 14,9, in den Niederlanden 16,2.
In Spanien sind es dagegen sogar 48,6 Prozent, in Ungarn 61,0 - und
EU-weit 39,1 Prozent.

Welche Entbehrungen werden noch festgestellt?

Die Statistiker fragen in neun Bereichen, ob das Geld im Haushalt für
die jeweiligen Ausgaben reicht. So leben 5,5 Millionen Kinder und
Jugendliche in einem Haushalt, der Schwierigkeiten hatte, unerwartete
Ausgaben in Höhe von 980 Euro aus eigenen Mitteln zu bestreiten.
Geringer sind die Zahlen derer, deren Familien sich kein Auto (646
000) oder Fernseher (16 000) leisten können. Eine Expertin des
Bundesamts für Statistik erläutert, die Antworten spiegelten die
Selbsteinschätzung und die Prioritäten der Befragten wider.

Warum werden die einzelnen Daten in der Weise erhoben?

Gemessen werden soll, wie viele Menschen unter großen materiellen
Entbehrungen leiden und sich Dinge nicht leisten können, die von den
meisten als wünschenswert oder nötig erachtet werden: Haushalte, die
sich mindestens vier von neun gängigen Ausgaben nicht leisten können,
fallen darunter. In Deutschland waren zuletzt 5 Prozent der Kinder
und Jugendlichen betroffen, im Jahr zuvor 5,6 Prozent, davor 4,8
Prozent.

Welche Anhaltspunkte für Kinderarmut in Deutschland gibt es noch?

Mehr als 1,5 Millionen unter 15-Jährige sind von Hartz IV abhängig.
Insgesamt leben 19 Prozent aller Mädchen und Jungen unter 18 in armen
Haushalten, wenn man als Kriterium ein Haushaltseinkommen unter 60
Prozent des Durchschnitts nimmt. Oft schaffen es Kinder aus armen
Haushalten nicht nach oben - die Erfahrung, dass sich die Eltern für
sie Dinge nicht leisten können, die die Mitschüler haben, setzt sich
mit den Jahren oft fort. Sozialforscher sprechen von «Verfestigung
von Armut».