Die Schattengestalt - Wo Linke und AfD um Wähler konkurrieren Von Theresa Münch, dpa

Von politisch links nach ziemlich rechts, der Schritt scheint weit.
Und doch kommt die AfD ausgerechnet in den Linken-Hochburgen im
Berliner Osten an. Die Linke kämpft hier vor der Wahl am 18.
September gegen ein Phantom.

Berlin (dpa) - Als Zugabe Möhren, Grünzeug, bei Bedarf auch Würstchen

- im Berliner Osten kocht die Linke Kartoffelsuppe. Kurz vor der Wahl
am 18. September schwingen Kandidaten den Holzlöffel. Manch
ein Passant lässt sich bremsen auf dem Weg in den Feierabend. Viele
hier wählen seit Jahren links, die Gegend beim Tierpark weiter
Richtung Stadtrand ist eine Linken-Hochburg. Bisher ein leichtes
Spiel für Wahlkämpfer, diesmal nicht.

Denn die Männer, die dem Kochstand gegenübersitzen - grau-grüne
Rentnerweste, Bierchen in der Hand - haben sich noch nicht
entschieden. Abgegeben habe er seine Stimme immer, sagt einer. Und
fügt hinzu: «Natürlich ist die AfD eine Option. Es gibt keine andere

Option.» Er habe ja viel gesehen von der Welt. Zu DDR-Zeiten fuhr er
zur See. «Aber wat wa jetz mit den Innwandarern machen...», meint er.
Wenn die «Kanacker-Schweine» in der Nähe seien, habe er immer eine
Hand auf der Tasche.

Linke und AfD kämpfen hier im Berliner Osten um dieselben Wähler. Da
geht es nicht um Menschen, die überzeugt links wählen, sich mit
linker Politik identifizieren. Es geht um die Unzufriedenen. Um die,
die sich sozial abgehängt fühlen und bisher von den Linken
aufgefangen wurden.

Die Rechtspopulisten der AfD schöpften zwar Stimmen aus allen
politischen Lagern, sagt der Berliner Parteienforscher Nils
Diederich. «Es gibt aber eine ganze Reihe Wähler, die eher ungebunden
sind, aus Protest Linkspartei gewählt haben und jetzt zur AfD
umschwenken.» In Baden-Württemberg wählten in diesem Jahr 15,8
Prozent der bisherigen Linke-Wähler AfD, IN Rheinland-Pfalz waren es
21,4 Prozent, in Sachsen-Anhalt 11,9.

In Berlin sei eine solche Wählerwanderung verstärkt im Osten zu
erwarten, wo die soziale Situation schwieriger sei, sagt Diederich.
Autoritäre Strukturen seien viele Menschen dort durch ihre Biografie
gewohnt - und strebten daher eher zur AfD als zu den Piraten. «Es
geht nicht um links oder rechts, sondern um ein Angebot, sein
Unbehagen mit der Stimme auszudrücken», sagt Diederich.

Die Linke sei im Osten für solch eine Protestwahl zu etabliert. 22,7
Prozent holte sie hier bei der vergangenen Abgeordnetenhauswahl, fast
30 Prozent bei der Bundestagswahl 2013. Inzwischen liegt die AfD in
Umfragen stadtweit bei um die 15 Prozent, die Linke nur knapp
darüber.

Jetzt rechnet sich AfD-Spitzenkandidat Georg Pazderski in Ostbezirken
Chancen auf Direktmandate aus. «Es gibt Stadtteile, wo wir sehr stark
sind», sagt der 64-Jährige. «Im Osten neigt man dazu, Dinge eher beim

Namen zu nennen als im Westen. Man spricht Missstände offener und mit
klaren Worten an.»

Berlins Linke-Chef Klaus Lederer erwartet trotzdem nicht, dass Wähler
geballt von der Linkspartei zur AfD wechseln. «Dass wir in
Größenordnungen reines Protestpotenzial hinter uns hätten, was uns
immer gewählt hat und jetzt auf die Idee kommt, stattdessen AfD zu
wählen, halte ich für üble Nachrede», betont er. Vielmehr wirke die

AfD wie ein Magnet auf die bürgerlichen Milieus. Zugleich räumt er
ein: Früher wählten auch Menschen die Linke, die deren
Flüchtlingspolitik ablehnten - heute nicht mehr.

Im Straßenwahlkampf sind die Rechtspopulisten kaum zu sehen. Nur ein
paar Plakate - viel Text, kaum Gesichter. Das liegt auch an offenen
Anfeindungen aus der linken Szene. Für andere Wahlkämpfer ist die
rechtspopulistische Konkurrenz deshalb schwer greifbar. Sie kämpfen
gegen ein Phantom, eine Schattengestalt. «Wenn sie sich zeigen
würden, würde man sie vielleicht auch nicht mehr wählen», meint die

Linke-Kandidatin Hendrikje Klein.

Was treibt die Menschen in ihrem Wahlkreis um? Weniger die großen
Probleme wie die Flüchtlingsintegration, meint Klein. Sie kämpften
für einen Supermarkt in einem Viertel, in dem es weder Apotheke noch
Aldi oder Edeka gebe. Große Ketten haben sich wegen mangelnder
Kaufkraft zurückgezogen. Die Bevölkerung sei überwiegend älter. Man

wolle, dass alles seine Ordnung habe, sagt Klein. Im Wahlkampf
verteilt sie - anders als andere Linke-Kandidaten in Berlin - keine
Kondome, sondern Früchtetee.