Forscher will günstige Bein-Prothesen aus Plastikmüll entwickeln Von Catherine Simon, dpa

Vom Joghurtbecher zur Prothese: Ein Forscher aus Bayern will günstige
Hilfsmittel aus dem 3D-Drucker für Minen- und Kriegsopfer herstellen.
Dabei gilt es, einige Probleme zu überwinden.

Nürnberg (dpa) - Tausende Menschen verlieren jedes Jahr durch
Landminen und Bomben Arme oder Beine. Doch nur die wenigsten von
ihnen können sich eine teure Prothese leisten. Schätzungsweise 80
Prozent der Menschen mit Behinderung leben in Entwicklungsländern.
Ein Nürnberger Forscher will diesen Menschen nun helfen und ein
möglichst günstiges Hilfsmittel entwickeln. Seine maßgeschneiderten
Prothesen sollen aus dem 3D-Drucker kommen - die Maße dafür können
Ärzte in Krisengebieten mit einer einfachen Handy-Kamera nehmen. Der
Clou: Das Rohmaterial könnte von recycelten Plastikbechern stammen.

«Mein Anspruch war immer, mit so günstigen Technologien und
Materialien wie möglich so viel Ergebnis wie möglich zu erreichen»,
sagt Christian Zagel. Der Wirtschaftsinformatiker von der Universität
Erlangen-Nürnberg leitet seit eineinhalb Jahren eine
Machbarkeitsstudie, in der sein Team herausfinden will, ob und wie
solche Prothesen Menschen in Entwicklungsländern helfen können.

Die Grundidee: Ein Arzt soll nur mit einem Smartphone einen
Beinstumpf vermessen können. Dafür muss er lediglich einmal um den
Patienten herum gehen und 20 bis 30 Bilder von dem Stumpf machen, die
sich jeweils leicht überlappen. Eine Software berechnet dann ein
3D-Modell mit den exakten Abmessungen. Denn jede Prothese muss ein
Einzelstück sein: Nur wenn der Schaft genau passt, werden
Druckstellen, Schmerzen oder Entzündungen vermieden.

Die Idee kam Zagel während seiner Arbeit an einem 3D-Bodyscanner. Mit
Hilfe der Technik können Verbraucher beispielsweise zu Hause testen,
ob ihnen ein T-Shirt aus einem Online-Shop passt. «Wenn ich die Maße
eines menschlichen Körpers habe, lag es natürlich nahe, diese auch
für andere Dinge einzusetzen», erzählt Zagel. «Das ganze System sol
l
so einfach zu bedienen sein, dass man kein technisches Vorwissen
dafür braucht», betont der 34-Jährige. Forscher der Fachhochschule
Lübeck testen daher die Benutzerfreundlichkeit des Systems. «Um einen
Beinstumpf zu scannen, braucht man ein bis zwei Minuten.»

Danach wird die Prothese mit dem 3D-Drucker gefertigt und mit Silikon
ausgekleidet, um sie bequemer zu machen. «Wir drucken hier mit der
günstigsten Technologie», sagt Zagel. Sein Gerät kostete etwa 4500
Euro. Schicht für Schicht wird das Material wie mit einer
Heißklebepistole aufeinandergebaut. Der Druck dauert etwa 30 Stunden.

Die Forscher testen unterschiedliche Materialstärken und was diese
jeweils aushalten. Bei einem erwachsenen Mann müsse so eine Prothese
schon einiges mitmachen, sagt Zagel. Gleichzeitig dürfe sie nicht zu
schwer werden. «Doch für diese Drucktechnik gab es bisher keine
Erfahrungswerte.» Ein weiteres Problem: «Die 3D-Druck-Technik ist in
dieser Preisklasse noch nicht ausgereift.» Immer wieder gibt es
Fehldrucke. Und die Geräte sind empfindlich - Temperatur und
Luftdruck müssen möglichst konstant sein.

Und auch bei der zweiten Idee - dem Recycling von Plastikbechern -
sind noch Hürden zu nehmen. Das Druckmaterial - Filament genannt -
ist im Einkauf teuer: Die Kunststoffschnüre kosten pro Kilo 15 bis 20
Euro. Daher kam Zagel auf die Idee, kompostierbare Kunststoffbecher
aus Polymilchsäure (PLA) zu zerkleinern und weiterzuverarbeiten. Die
dafür nötigen kleinen Häcksler und einen sogenannten Extruder musste

er lange suchen, denn diese Geräte gibt es fast nur im industriellen
Großformat. Im rund 4000 Euro teuren Extruder werden die Plastikteile
geschmolzen und in Schnur-Form gebracht.

Noch in diesem Jahr will Zagel seine Prothesen mit den ersten Testern
ausprobieren. Im nächsten Jahr soll es erste Prothesen für Patienten
geben. Im Moment fehlen vor allem noch Geldgeber. Zagel möchte daher
unter anderem eine Crowdfunding-Initiative auf den Weg bringen.
Irgendwann soll seine Prothese nur noch um die zehn Euro kosten.

Der 34-Jährige und sein Team sind nicht die einzigen, die Prothesen
aus dem 3D-Drucker testen. Auch Handicap International (HI) arbeitet
an solchen Lösungen. Die Vorteile liegen für Jérôme Canicave auf de
r
Hand. Er ist Projektmanager für Orthopädietechnik bei der
Hilfsorganisation. Seiner Ansicht nach kann das mobile Scannen und
computergestützte Design die Abläufe bei der Versorgung von Menschen
mit Prothesen in Entwicklungs- und Krisenländern deutlich effizienter
machen - es könne gar einen Paradigmenwechsel einleiten, durch den
deutlich mehr Menschen geholfen werden kann.

«Anstatt die Menschen zum Rehabilitationszentrum kommen zu lassen,
können Spezialisten die Gliedmaße scannen und die Daten zu den
3D-Design- und Druck-Technikern schicken», sagt Canicave. Bisher
genutzte einfache Prothesen kosteten im Schnitt um die 150 Euro.

HI macht auch eine Pilotstudie zu dem Thema in Togo, Madagaskar und
Syrien. Hier arbeiten auch Experten für Physiotherapie sowie
Wissenschaftler und Firmen, die sich auf 3D-Druck spezialisiert
haben. Ein Unternehmen in Europa übernimmt den Prothesen-Druck. Im
Moment fallen daher zwar noch Transportkosten an, aber Canicave ist
zuversichtlich, dass 3D-Drucker bald auch in Entwicklungsländern
eingesetzt und die Kosten dadurch reduziert werden können.

Im Oktober soll ein Bericht veröffentlicht werden, der Vorteile und
die Probleme der Technik aufzeigt. Der Bedarf an günstigen Prothesen
sei jedoch groß: Schätzungen nach brauchten 0,5 Prozent der
Weltbevölkerung eine Prothese oder Orthese, die ein Körperteil
entlastet oder stützt. Doch weniger als 20 Prozent der Betroffenen in
Entwicklungsländern habe Zugang zu angemessener Hilfe.