Rettung aus der Ferne - Telemediziner kämpfen für mehr Freiheiten Von Matthias Arnold, dpa

Mit Hilfe der Telemedizin können Ärzte vom Land aus Menschen auf der
Nordsee das Leben retten. Die Technik könnte auch medizinische
Versorgungslücken in ländlichen Regionen schließen. Doch bis dahin
sind noch viele Hindernisse zu überwinden.

Oldenburg (dpa) - Mitten in der Nacht bekommt ein Mitarbeiter auf
einem Offshore-Windpark in der Nordsee einen Herzinfarkt. Ein
Rettungshubschrauber am Festland wird alarmiert, während ein
Sanitäter die Ersthilfe vor Ort übernimmt. Doch bis der Hubschrauber

und ein Arzt eintreffen, ist der Mann gestorben. Ein fiktives, aber
durchaus realistisches Szenario.

Die Ärzten im Zentrum für Telemedizin in Oldenburg wollen
in Kooperation mit dem Hamburger Notfall-Medizinnetzwerk Windeacare
solche «Versorgungslücken» auf hoher See verringern. Mit moderner
Technik können sie von der Klinik aus Menschen auf dem Meer
behandeln, bis etwa ein Notarzt eintrifft. 114 Mal hatten Dutzend
Ärzte der Abteilung im vergangenen Jahr Einsätze vor der Küste, ohne

jedoch ihren Standort in Oldenburg zu verlassen. Solche
«Fernbehandlungen» unterliegen in Deutschland strengen Auflagen. Das

Team kämpft seit Jahren für eine Änderung.

«Mit unserer Technik wollen wir vor allem Distanzen überwinden, und
schneller entscheiden, ob weitere Hilfe vor Ort nötig ist oder
nicht», sagt Dirk Tenzer, Vorstand des Klinikums Oldenburg, zu dem
die Telemedizin-Zentrale gehört. Mit zwei Kollegen steht er im
Kontrollzentrum der Abteilung. Der kleine Raum ist vollgepackt mit
Computern, Monitoren und Geräten. Von hier aus haben die Ärzte einen
Überblick über die Hubschrauber und Schiffe, die vor der Küste
im Einsatz sind. Von hier aus können sie auch Herzfrequenz,
Sauerstoffversorgung und Hirntätigkeit eines Patienten überprüfen.
Dann entscheiden sie, was zu tun ist.

Dafür muss der Patient an ein kleines Gerät angeschlossen sein, das
auf den ersten Blick wie eine tragbare Spielekonsole aussieht. Der
sogenannte Intensivmonitor misst sämtliche Lebensfunktionen eines
Menschen und sendet sie an die Zentrale in Oldenburg. Tenzer und
seine Kollegen wollen, dass die Technik bald auch in ländlichen
Regionen eingesetzt wird, dort wo es immer weniger Ärzte gibt. Vor
allem chronische Erkrankungen ließen sich dadurch behandeln. «Es geht
uns nicht darum, den Arzt zu ersetzen», sagt Tenzer. «Die Patienten
wollen ihren Doktor anfassen. Das wird auch in Zukunft so sein.»

Doch durch die Telemedizin könnten Hausärzte schneller die Meinung
eines Facharztes einholen, der wiederum Hunderte Kilometer entfernt
in einem Krankenhaus die medizinischen Daten auswertet. Die
Oldenburger sind nicht allein mit diesem Wunsch.

In Deutschland sind sogenannte «Fernbehandlungen» laut Berufsordnung
der Bundesärztekammer nur mit großen Einschränkungen möglich. Eine

Behandlung ohne mindestens einen persönlichen Kontakt zwischen Arzt
und Patient ist verboten. Das ist aus Sicht der Kassenärzte auch gut
so, auf die es beim Einsatz von Telemedizin auf dem Land ankommen
würde.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung in Berlin, hält ein
«Fernbehandlungsverbot» für richtig. Dennoch lasse sich diskutieren,

ob der entsprechende Paragraph nicht etwas aufgeweicht werden könnte.
«Wir würden da schon gerne mehr in diese Richtung machen», sagt der
Sprecher, Roland Stahl. Widerstand gebe es aber vor allem bei den
Krankenkassen: Bislang werde nur eine einzige telemedizinische
Leistung vergütet.

Dabei sind auch die Krankenkassen nicht abgeneigt, was die neue
Technik angeht. «Wir sehen in telemedizinischen Verfahren eine Chance
für die Zukunft, insbesondere in ländlichen Regionen die Versorgung
der Versicherten zu verbessern», sagt ein Sprecher des
Spitzenverbands Gesetzlicher Krankenversicherungen (GKV). Allerdings
heißt es dort auch im Grundsatz: «Die ärztliche Behandlung,
insbesondere die Erstdiagnose, sollte von Angesicht zu Angesicht
erfolgen.»

Dennoch sind Tenzer und sein Team optimistisch: Innerhalb eines
Jahres soll es in Niedersachsen ein Pilotprojekt geben, das den
Einsatz der Telemedizin in ländlichen Regionen in Niedersachsen
ermöglicht. Bis die Technik fester Bestandteil der bundesweiten
medizischen Versorgung ist, wird es laut Tenzer noch rund zehn Jahre
dauern.