Tele-Sprechstunde statt Praxisbesuch - Test bei Ärzten in Südwest Von Susanne Kupke, dpa

Keine lange Warterei und weite Wege für Patienten, mehr Zeit für den
Arzt - dank der Telemedizin. In Baden-Württemberg starten Ärzte ein
bundesweites Pilotprojekt. Chancen gibt es viele - und einige offene
Fragen.

Karlsruhe (dpa) - Der Patient sitzt zu Hause entspannt im Sessel und
schildert dem Arzt die Symptome. Der stellt per Telefon oder
Videoschalte die Diagnose - und das Antibiotikum kommt per Drohne ins
Haus. So könnte es mal sein. Doch es gibt schon verschiedene Ansätze
der Telemedizin, die eine derartige Sprechstunde möglich machen. Vor
allem im Ausland. Ärzte im Baden-Württemberg wollen jetzt bundesweit
ein neues Modell erproben - nach dem Vorbild Schweiz.

Bis zu 5000 Telekonsultationen pro Tag, rund 5,7 Millionen seit dem
Jahr 2000 zählt allein der Schweizer Dienstleister Medgate - mit 320
Mitarbeitern, darunter 100 Ärzte. Der Patient ruft dort im Callcenter
an, gibt beim «Empfang» seine Personalien und Krankheitssymptome
durch, schickt im Zweifel noch ein Foto etwa von der Haut- oder
Augenveränderung. Ein Medizin-Team berät dann über die Behandlung und

der Medgate-Arzt stellt gegebenenfalls ein Rezept aus.

«Bedarf ist da», sagt Oliver Erens, Sprecher der Landesärztekammer
Baden-Württemberg. Etwa bei Medizinern, die nicht nur auf der
Schwäbischen Alb oder im Schwarzwald händeringend nach einem
Nachfolger suchen und «rund um die Uhr ackern». Und bei Patienten,
die schneller und bequemer ärztlichen Rat bekommen und bei
Krankenkassen, die sich mehr Effizienz erhoffen.

In Deutschland gibt es noch Hürden: Nach der ärztlichen Berufsordnung

muss ein Arzt den Patienten «unmittelbar» behandeln. Auch bei einer
Tele-Sprechstunde muss er den Patienten mindestens einmal real
untersucht haben.

Muss das wirklich sein? Aus Sicht der Landesärztekammer macht die
Vorschrift durchaus Sinn: «Bei einer ausschließlich über
Telekommunikationsmedien stattfindenden Beratung oder Behandlung
besteht die Gefahr, dass entscheidende Fakten gar nicht zur Sprache
kommen, was im Einzelfall gravierende Folgen haben könnte», warnt
Kammerpräsident Ulrich Clever.

Weil die 65 000 Ärzte in Baden-Württemberg aber andererseits der
technischen Entwicklung und Ländern wie der Schweiz, Großbritannien,
Norwegen oder Schweden nicht hinterherhinken möchten, will die Kammer
Modellprojekte erlauben, «in denen ärztliche Behandlungen
ausschließlich u?ber Kommunikationsnetze durchgefu?hrt werden». Das
will man genau beobachten, «und beim leisesten Zweifel
nachjustieren», sagt Ärztepräsident Clever.

Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) will die
Satzungsänderung der Ärzte genehmigen, betont aber: «Telemedizin is
t
für mich kein Ersatz, sondern eine Ergänzung der bisherigen
medizinischen Behandlungs- und Versorgungsmethoden.» Der Kontakt
zwischen Arzt und Patient dürfe nicht generell durch Telemedizin
ersetzt werden. Auch nicht auf dem vom Ärztemangel besonders
betroffenen Land. Weil es immer mehr Ältere und chronisch Kranke
gibt, will das Land aber die Telemedizin ausbauen.

Von den Patienten würden nach einer Umfrage der Techniker
Krankenkasse (TK) «mehr als die Hälfte der Befragten online mit ihrem
Haus- oder Facharzt in Verbindung treten wollen». Fast zwei Drittel
könnte sich demnach auch vorstellen, zu Hause ermittelte Messwerte
online an den Arzt weiterzuleiten. «Nicht immer wird es möglich sein,
aus der Ferne Antwort zu geben», sagt Ärztesprecher Erens. Und
Notfälle müssen immer so schnell wie von einem Arzt persönlich
behandelt werden.

Für die TK zeigen aber schon jetzt Projekte für Herz-Patienten,
Online-Sprechstunden beim Dermatologen, Teletherapie gegen Stottern
und chronische Kopfschmerzen oder Apps zur Unterstützung bei
Pollenallergie oder Tinnitus, dass digitale Versorgung «funktioniert
und dem Patienten Vorteile bringt». Zudem könnten über moderne
Kommunikationswege Klinik-Spezialisten bei Diagnose oder Therapie in
Arztpraxen mitwirken.

Im Sinne effizienter Versorgungsstrukturen sieht auch die AOK in
Baden-Württemberg viele Vorteile, mahnt aber zugleich «ein klares
Konzept zur Vernetzung» an. Oberste Priorität müsse der Datenschutz
haben.