Nobelpreis: Arzneien nach dem Vorbild der Natur Von Simone Humml, dpa

(Mit Bild und Grafik 13491)

Die diesjährigen Chemie-Nobelpreisträger haben eine vielseitige
Werkzeugkiste für Labor und Industrie entwickelt. Damit lassen sich
Stoffe aus der Natur herstellen, zum Beispiel für die Krebsforschung.

Stockholm (dpa) - Der Chemie-Nobelpreis geht an drei
Forscher für Werkzeuge zum Bau natürlicher Arzneien und anderer
Stoffe. Mit der chemischen Reaktion, die der US-Wissenschaftler
Richard Heck sowie die Japaner Ei-ichi Negishi und Akira Suzuki
entwickelten, lassen sich komplexe Substanzen aus Kohlenstoff
herstellen. Das teilte die Königlich-Schwedische Akademie der
Wissenschaften am Mittwoch in Stockholm mit. Die Auszeichnung ist mit
umgerechnet rund einer Million Euro (10 Millionen Schwedischen
Kronen) dotiert.

   «Ich habe bewusst keine Patente auf meine Entdeckungen angemelde
t.
Es sollen sich möglichst viele Menschen frei fühlen, nach sinnvollen
Anwendungen dieser Forschungsergebnisse zu suchen», betonte Negishi
(75) in einem Telefonat mit dem Nobelkomitee nach der Bekanntgabe.
Der 79 Jahre alte Heck, der inzwischen auf den Philippinen lebt,
sagte der Nachrichtenagentur dpa: «Ich ahnte schon, dass es ein
wichtiges Ergebnis ist. Aber was andere daraus machen würden, konnte
ich natürlich nicht voraussehen.»    

«Das ist eine typische Entwicklung der Forschung, wo zunächst der
Praxisbezug nicht so groß gewesen war. Aber heute sind die
Entwicklungen der Industrie im großen Maßstab erreicht», erläuterte

Prof. Alois Fürstner vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung. Die
Heck-Reaktion werde bei der Herstellung von Sonnencremes benötigt.
Die sogenannte Suzuki-Kupplung führe zu Flüssigkristallen für
Displays oder Leuchtdioden.

Grundlage für natürliche Substanzen sind Kohlenstoffatome, die
sich aber im Labor nicht einfach zu großen komplizierten Wirkstoffen
zusammensetzen lassen. Die drei Chemiker nutzten vor allem Palladium-
Atome, um ein Kohlenstoffatom mit dem anderen zu verbinden. Dabei
entstehen Stoffe, wie sie bislang nur die Natur hervorbringen konnte.

   Ein Beispiel: In der Karibik entdeckten Taucher Ende der 1980er
Jahre einen sehr giftigen Schwamm namens Discodermia dissoluta.
Mediziner fanden heraus, dass seine Gifte auch therapeutisch wirken:
als Antibiotikum, Entzündungshemmer oder sogar gegen Viren. Sie
können sogar Krebszellen hemmen. Doch es gab viel zu wenig von diesem
Stoff namens Discodermolid. Mit Hilfe der von den Preisträgern
entwickelten chemischen Reaktionen können solche Arzneien im größerem

Maßstab produziert und nun auch an Menschen getestet werden.

Bei Blutdrucksenkern seien die Mediziner mit Hilfe der Suzuki-
Kupplung schon weiter gekommen, sagte Herbert Plenio von der
Technischen Universität Darmstadt. Der Wirkstoff Valsartan wird unter
anderem in Deutschland breit eingesetzt. Auch Boscalid, ein
Pflanzenschutzmittel gegen Pilzbefall, beruhe auf dieser Reaktion.

Palladium kann nicht nur Kohlenstoffatome verbinden, sondern auch
Sauerstoff und Stickstoff an die entstehenden Moleküle heften. Erst
diese Eigenschaft ermöglicht eine sehr vielfältige Palette an
Substanzen. Das Metall Palladium wurde bislang auf anderem Gebiet
bekannt: als Hauptsubstanz im Autokatalysator. Daher hat auch die
Autoindustrie großen Bedarf daran.

Der japanische Ministerpräsident Naoto Kan gratulierte dem 80-
jährigen Suzuki. «Das wird junge Menschen ermutigen, hart zu
arbeiten, um den Nobelpreis zu erhalten», sagte Kan.

Negishi und Suzuki erhalten als sechster und siebter Japaner den
Chemie-Nobelpreis. «In einem ressourcenarmen Land wie Japan ist es
sehr wichtig, die wissenschaftliche Entwicklung voranzutreiben»,
sagte Suzuki im japanischen Fernsehen.

Das Nobelkomitee hatte in diesem Jahr die Grundsubstanz des
Lebens, den Kohlenstoff, im Visier. Die Physik-Preisträger, der
Niederländer Andre Geim und der britisch-russische Physiker
Konstantin Novoselov, untersuchten das Wundermaterial Graphen. Das
einlagige Gitter aus Kohlenstoffatomen leitet hervorragend Hitze und
Strom. Die Atome sind aber anders als bei den Substanzen der Chemie-
Nobelpreisträger sehr symmetrisch angeordnet.

Am Montag war der Medizin-Nobelpreis dem Briten Robert Edwards für
die Entwicklung der Reagenzglas-Befruchtung zugesprochen worden. Die
werden traditionsgemäß am 10. Dezember, dem Todestag des
Preisstifters Alfred Nobel, überreicht.

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## Redaktionelle Hinweise

## Internet
- [Chemie-Nobelpreisträger 2010](http://dpaq.de/sIbOW)

## Orte
- [Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften](Lilla
Frescativägen 4A, Stockholm, Schweden)