«Eher Mahnmale»: 21 DDR-Rekorde noch immer gültig Von Sebastian Stiekel, dpa

20 Jahre nach der Wiedervereinigung gelten noch immer 21 deutsche
Leichtathletik-Rekorde, die von Sportlern der DDR aufgestellt wurden.
Der nationale Verband hat es nie geschafft, sie aus seinen
offiziellen Statistiken zu streichen.

Stuttgart (dpa) - Als Marita Koch in Canberra ins Ziel lief, kamen
einige Läuferinnen gerade erst aus der letzten Kurve. Sie riss die
Arme hoch an diesem 6. Oktober 1985 und klatschte in die Hände, ihre
Zeit von 47,60 Sekunden über 400 Meter hat seitdem keine Frau
unterboten. 20 Jahre nach der Wiedervereinigung stammen noch immer 21
deutsche Leichtathletik-Rekorde in den 47 olympischen Disziplinen von
Athleten der ehemaligen DDR. Die Fabelzeit der heute 53 Jahre alten
Rostockerin ist nur der bekannteste von ihnen und obendrein einer von
vier bis heute gültigen Weltrekorden.

Während Koch darauf «auch nach 25 Jahren noch ein bisschen stolz
ist», wie sie der Nachrichtenagentur dpa sagte, hat der Deutsche
Leichtathletik-Verband (DLV) diese Bestwerte nie streichen können.
Sie stehen unter Doping-Verdacht und sind für den DLV-Vizepräsidenten
Günther Lohre deshalb «weniger Rekorde, als eher Mahnmale». Dieses
Thema, erklärt er, «stört den Vereinigungs-Prozess noch immer. Heiß
e
Themen geht man im Sport noch immer nicht so an, wie es sein müsste.»

Dabei hat der DLV schon einiges versucht, um die DDR-Altlasten aus
seinen Statistiken zu verbannen. 1999 etwa scheiterte er beim
Kongress des Weltverbandes IAAF mit seinem Vorstoß, zu Beginn des
neuen Jahrtausends auch neue Weltrekordlisten einzuführen. «Ich
persönlich würde diese Rekorde auch abschaffen, aber das war nicht
durchzusetzen», sagte Lohre. «Die internationalen Verbände hatten
damit ein Problem, auch weil Klage-Drohungen von betroffenen Athleten
im Raum standen. Jetzt haben wir ein Problem, das uns verfolgt.»

Der DLV hat seine offizielle Statistik mittlerweile um eine
Präambel erweitert. Darin heißt es im Wortlaut: «In der nachfolgenden

Rekordliste stehen nach heutigen Erkenntnissen einige Rekordhalter
unter dem Verdacht, während ihrer leistungssportlichen Laufbahn gegen
die Antidoping-Regeln verstoßen zu haben. Darüber hinaus wurde ein
Teil der Rekorde auf der Basis von Zwangsdoping und Doping in Form
von strafrechtlich relevanter Körperverletzung erzielt. [...] Eine
Löschung solcher Rekorde ist aus juristischen Gründen nicht möglich.
»

Dabei gibt es belastendes Material genug. In ihrem Buch «Doping.
Von der Forschung zum Betrug» hat Brigitte Berendonk 1991 auf der
Basis von Stasiakten und DDR-Dissertationen rekonstruiert, welche
Dosen Athleten wie Koch, Heike Drechsler oder Diskus-Weltrekordler
Jürgen Schult wann verabreicht bekamen. Auf diese Quelle verweist der
Verband auch in seiner Präambel. «Zur Aberkennung eines Rekordes
brauchen wir aber einen Kausalnachweis, dass bei dieser Leistung
Doping im Spiel war», erklärte DLV-Präsident Clemens Prokop.

Da der kaum zu erbringen ist, gehen ehemalige DDR-Sportler mit dem
Thema unterschiedlich um. Schult «will nichts dazu sagen», obwohl er
mittlerweile als Diskus-Bundestrainer arbeitet. Einen «großen Schritt
nach vorn» nennt Lohre das Beispiel der ehemaligen Staffelläuferinnen
Ines Geipel und Gesine Tettenborn, die ihre Namen aus den
Rekordlisten haben streichen lassen. Geipel ist eine Art Sprachrohr
der DDR-Dopingopfer. Sie spricht von «vergifteten Rekorden».

Marita Koch bestreitet bis heute, Dopingmittel genommen zu haben.
Für ihren noch immer gültigen Weltrekord hat sie eine andere
Erklärung. «Unser Saisonaufbau war damals ganz anders», sagt sie.
«Wir haben uns gezielter auf weniger Jahreshöhepunkte vorbereitet.»
Dass ihre 47,60 Sekunden auf ewig unerreichbar sind, glaubt die
Ehrenvorsitzende des 1. LAV Rostock nicht: «Allyson Felix und Sanya
Richards sind ja noch jung. Ich bin in ihrem Alter nicht so schnell
gewesen», meint sie.

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## Internet
- [Rekordliste des DLV](http://dpaq.de/ftYYj)