Generation Ü-60 sichert medizinische Versorgung Von Katrin Zeiß und Bettina Sachau, dpa

   Gotha/St. Margarethen (dpa) - Joachim Dehmel aus Gotha hat den
Ohrensessel mit dem Arztstuhl getauscht. Seine Kassenzulassung hatte
der 67 Jahre alte Ruheständler bereits zurückgegeben und seine Praxis
verkauft. 40 Jahre Behandlung von Patienten waren genug. Seit dem
Sommer 2009 trägt Dehmel nun wieder das Stethoskop. Gemeinsam mit
fünf Kollegen seiner Altersklasse stemmt er sich gegen den
Hausärztemangel. Das Rentner-Team ist bei der Kassenärztlichen
Vereinigung (KV) Thüringen angestellt, die dafür eine eigene Praxis
gegründet hat.

   Eigentlich sollten junge Ärzte damit geködert werden, als
Angestellte ohne eigenes finanzielles Risiko die Führung einer Praxis
zu lernen. Mangels «Niederlassungslehrlingen» halten die Senioren
aber vorerst allein die Stellung. Mit dem Modell will die KV, die
sich sonst vor allem um die Honorierung der Arztpraxen kümmert, die
ärztliche Versorgung in der Stadt sicherstellen. Mit einer solchen
«Niederlassungsschule» hatte Thüringen bereits vor Jahren Erfolg.
Eine angestellte Ärztin in Ohrdruf machte sich wie erhofft
selbstständig. Nicht nur der derzeit viel beschriebene «Landarzt»
fehlt vielerorts, gerade in Kleinstädten mit hoher Abwanderung wird
der fehlende Medizinernachwuchs zum Problem.    

Hausärztemangel ist in weiten Teilen Ostdeutschlands seit Jahren
ein Thema. In Mecklenburg-Vorpommern etwa verwaisen jedes Jahr 16
Praxen, 114 stehen zur Zeit leer. In Sachsen-Anhalt könnten sich nach
Angaben der Kassenärztlichen Vereinigungen sofort 255, in Thüringen
113 Allgemeinmediziner niederlassen.

   Dehmel ließ sich nicht lange bitten, die bis 2011 befristete KV-

Anstellung anzunehmen. «Man kann die Patienten ja nicht hängen
lassen.» Die Arztsenioren arbeiten wöchentlich je zehn Stunden,
wechseln sich mit Sprechstunden und Hausbesuchen ab und leisten
Bereitschaftsdienste. Die vier Arzthelferinnen werden ebenfalls von
der KV bezahlt. Inzwischen hat auch ein jüngerer Arzt Interesse
bekundet. «Junge Kollegen wären bitter nötig», sagt Dehmel.

Auch in Schleswig-Holstein ist der Nachwuchsmangel ein Problem.
Mitten in der platten Landschaft der Wilstermarsch bei Brunsbüttel
liegt St. Margarethen. Hier arbeitet Günter Voigt (65) seit 30 Jahren
als Landarzt. «Überwiegend ja» antwortet Voigt auf die Frage, ob er
diesen Beruf wieder ergreifen würde, wenn er die Wahl hätte.

Zur aktuellen Diskussion um eine «Landarzt-Quote», die von
Bundesgesundheitsminister Philip Rösler ins Spiel gebracht worden
ist, sagt Voigt, es sei gut, dass sich die Politik jetzt mit dem
Thema beschäftige. «Man sollte die Situation der Landärzte insgesamt

verbessern», sagt der Mediziner. «Warum sollte man ihnen nicht mit
besserem Honorar unter die Arme greifen?»

30 Jahre als Landarzt in einem 1000-Seelen-Kirchdorf. Für den
Norddeutschen, der in Berlin studiert hatte, war aller Anfang schwer:
«Die ersten zehn Jahre waren der Hammer», sagt der Arzt, der im Hobby
eine Harley Davidson fährt. «Montags bis samstagmittags ging die
Arbeit, manchmal 16 Stunden am Tag, außerdem musste ich nachts oft
raus, so zwei, dreimal die Woche». Dabei waren längst nicht alle
Anliegen seiner Patienten sehr dringlich. «Zum Beispiel wenn ich
nachts gefragt werde, ob Pfefferminztee oder Kamillentee besser ist
bei Bauchschmerzen.»

Er würde gern geordnete Verhältnisse hinterlassen, sagt der Arzt,
der außer Harley-Fahren «nie Zeit für Hobbys» hatte. Das Problem be
i
der Nachfolge: Die Gegend ist wegen des Atomkraftwerks Brokdorf und
des geplanten Steinkohlekraftwerks in Brunsbüttel nicht gerade
beliebt, hinzu kommt der allgemeine Nachwuchsmangel an Hausärzten in
Schleswig-Holstein.

   Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen versuchen seit
Jahren, den Ärztenachwuchs mit finanziellen Anreizen zu ködern.
Praxisgründer in unterversorgten Gebieten erhalten Zuschüsse,
Umsatzgarantien oder Honorarzuschläge, für die KV und Kassen
aufkommen. Mediziner in Mangelregionen sollen künftig
Honorarzuschläge erhalten, die Ärzte in Regionen mit hoher
Praxisdichte durch Honorarminderung bezahlen sollen.

   Bei den Betroffenen stößt das auf Kritik, aber die Kassen erho
ffen
sich davon ein Steuerungsinstrument. «Wir haben ja keinen
Ärztemangel, sondern ein Verteilungsproblem», sagt Guido Dressel,
Thüringer Landeschef der Techniker Krankenkasse. Er verweist auf die
ständig steigende Ärztezahl: Lag sie laut Bundesärztekammer 2004
bundesweit noch bei 306 000, waren es Ende 2008 bereits fast 320 000.

   Allerdings drängt es nur wenige junge Mediziner in eine
Hausarztpraxis. Zu wenig Geld, Arbeitsüberlastung und überbordende
Bürokratie zählen die Standesorganisationen gebetsmühlenartig die
Gründe auf. Für Thüringens KV-Chefin Regina Feldmann kommt noch ein
weiterer hinzu: «Der Hausarztberuf war innerhalb der Ärzteschaft nie
besonders angesehen.»
dpa zei/bs yyzz a3 ir/li