Kinderlähmung mit Spätfolgen - Polio-Ambulanz hilft Von Christian Kirstges, dpa

Koblenz (dpa) - Um die 60 000 registrierte Betroffene gibt es nach
offizieller Einschätzung in Deutschland: Postpolio, besser bekannt
als die Spätfolgen der Kinderlähmung (Polio), ist noch immer eine
verbreitete Krankheit. Zwar treten dank konsequenter Impfungen bei
Bundesbürgern seit Jahren kaum neue Polio-Fälle auf, doch bei vielen
Menschen zeigen sich Postpolio-Symptome erst jetzt, teils Jahrzehnte
nach der Infektion und einem normalen Leben. Besonders kompetente
Hilfe finden sie im Koblenzer Brüderkrankenhaus bei Deutschlands
einziger Polio-Ambulanz. An diesem Freitag (11. September) stellt das
Klinikum seine Arbeit vor.

   Im Brüderhaus kümmert sich Axel Ruetz, Leitender Arzt für
Konservative Orthopädie und Rehabilitation, quasi als Einzelkämpfer
um 40 Patienten pro Woche in der Ambulanz. Neben seinen sonstigen
Aufgaben betreut er die Einrichtung, weil sie ihm auch aus
persönlichen Gründen sehr viel bedeutet. «Da mein Vater auch von der
Krankheit betroffen ist, habe ich mich schon früh mit ihr beschäftigt
und auseinandergesetzt», sagt der 51-jährige Mediziner.

Kinderlähmung zunächst nicht erkannt

   Von seinem Fachwissen und Engagement hat auch schon Margit
Lindermann profitiert. Geboren im Oktober 1947, erkrankte die Frau
aus Siershahn im Westerwald im Alter von vier Jahren an
Kinderlähmung. Ihr Hausarzt ging von einer Grippe aus, doch eines
Tages lag die heutige Sprecherin des Landesverbands der Polio-
Betroffenen steif im Bett. Ihre Mutter erkannte nun, was vor sich
ging. Im Koblenzer Krankenhaus Kemperhof kam das Mädchen direkt auf
die Isolierstation. Die Ärzte machten Margit Lindermanns Mutter dort
jedoch keine großen Hoffnungen, dass ihre Tochter die Krankheit
überleben würde.

   Nach einer fast einjährigen Behandlung in einer speziellen
Einrichtung in Neuwied-Engers kam das willensstarke Mädchen im
wahrsten Sinne des Wortes wieder auf die Beine. «Mein rechtes Bein
war von der Lähmung sehr betroffen, doch bei meiner Einschulung sah
man mir die Krankheit kaum noch an», erinnert sich Lindermann. Auch
im Sportunterricht konnte sie bis auf Sprungübungen gut mithalten,
doch sie hatte stets Probleme mit der Ausdauer. Bis zu ihrem 18.
Lebensjahr blieb sie in spezieller Behandlung und erholte sich so
gut, dass sie sogar Klettern, Rollschuhlaufen und Langlaufen konnte.

Auch Wissen über Spätfolgen gering

   Die Belastung ging aber nicht spurlos an ihr vorbei. Mehrere
ärztliche Behandlungen und Operationen vor allem an den Füßen waren
nötig. Für einige Zeit konnte sie wieder ein normales Leben führen,
doch Mitte der 90er Jahre war es damit vorbei. «Es ging nichts mehr,
ich war total ausgepowert», erzählt die frühere Grundschullehrerin.
Auch im Klassenraum brach sie mehrmals zusammen. Sie ging daraufhin
von Arzt zu Arzt. Doch erst ein Neurologe klärte sie auf, dass sie
unter den Spätfolgen ihrer Kinderlähmung litt. Inzwischen ist sie auf
den Rollstuhl angewiesen.

   Dass mehrere Ärzte nicht erkannten, was mit Margit Lindermann lo
s
war, überrascht den Mediziner Ruetz nicht. Er schätzt, dass es in
Deutschland nur um die 50 Mediziner gibt, die sich wirklich mit Polio
und Postpolio auskennen. Als einer dieser Spezialisten wird er - nach
langem Kampf um die Genehmigung - die Einrichtung eines Polio-
Zentrums mit bis zu 15 Betten am Brüderhaus federführend
organisieren. Es ist dann das einzige in Deutschland, so Ruetz.
Weitere seien bislang von dortigen Verantwortlichen in Stuttgart und
Jena geplant.

(Internet: www.kk-koblenz.de, www.polio.sh)

[Brüderhaus: Kardinal-Krementz-Straße 1-5, 56073 Koblenz]

dpa cki hx yyrs a3 hu