Mit einer Schraube aufwendige Hüftoperationen vermeiden Von Joachim Mangler, dpa

   Rostock (dpa) - Es ist ein stechender Schmerz, der in die Hüfte
schießt. Er bleibt aber nicht lange so stark, sonst würden die
Betroffenen rasch zum Arzt gehen. «Wenn man zu lange wartet,
verschließen sich die Gefäße. Danach ist der Hüftkopf nicht mehr mi
t
Blut versorgt, der Knochen stirbt ab, und der Patient kommt um eine
Hüftprothese nicht mehr herum.» So beschreibt der Chef der
Orthopädischen Universitätsklinik in Rostock, Wolfram Mittelmeier,
das Geschehen bei einem Hüftinfarkt, wie er pro Jahr deutschlandweit
tausendfach vorkommt.

   Viele Hüftoperationen mit Protheseneinsatz nach einem Hüftinfa
rkt
(Fachausdruck: Hüftkopfnekrose) müssten nach Meinung Mittelmeiers
nicht sein. «Einige tausend Hüften könnten wir retten, wenn wir die
Patienten rechtzeitig behandeln könnten.» Rechtzeitig bedeute, dass
sich die Betroffenen innerhalb weniger Wochen bei einem Orthopäden
melden. Der Hüftinfarkt ist nach Worten Mittelmeiers eine der
typischen Zivilisationskrankheiten: «Ursachen sind meist Rauchen, zu
hohe Blutfettwerte und zu hoher Alkoholkonsum.»

   Das Prinzip der Behandlung beruht auf der Erkenntnis, dass sich
über Elektrostimulation Zellen zur Teilung anregen lassen, dies
passiert auch beim Knochenaufbau. Mittelmeier und sein Team
entwickelten eine rund 20 Jahre alte Idee von Forschern weiter, die
mit zwei Schrauben als Elektroden und einer elektrischen Spule
Knochenzellen wachsen ließen und schwer heilende Knochenbrüche
unterstützen konnten.

   «Für unsere Hüftinfarkt-Patienten brauchen wir den Strom im
Knochen», schildert Mittelmeier die Ausgangssituation. Es sei nun
gelungen, das ganze System mit Elektroden und Spule in eine 7
Zentimeter lange und 6 Millimeter dicke Schraube hineinzubekommen.
Diese wird in einer minimalinvasiven Operation nahe an den Hüftkopf
herangeführt. Anschließend werde zu Hause das System mehrere Stunden
pro Tag von außen mit Energie versorgt, die dann von den Elektroden
gezielt an den Hüftkopf abgegeben wird. Die Zellen im Knochen und den
Gefäßen reagieren darauf, die Hüfte könne sich regenerieren. Der
Einsatz der Schraube erfolgt ambulant, eine aufwendige Rehabilitation
sei nicht notwendig - ein starkes Argument für Verhandlungen mit den
Krankenkassen.

   200 Patienten seien in München, Eisenberg (Thüringen) und Rostoc
k
in den vergangenen vier Jahren so behandelt worden. Die Heilungsquote
liege bei 80 Prozent, wenn die Knorpeloberfläche des Hüftkopfes noch
erhalten ist. Vor wenigen Wochen hat eine kontrollierte klinische
Studie begonnen. Ein US-Medizinkonzern habe angekündigt, die
«Schraube» in Serie produzieren zu wollen.

Die Forschungen an dem System gehen weiter, berichtet Hartmut
Ewald, Direktor des Instituts für Allgemeine Elektrotechnik an der
Universität Rostock. Es müsse überprüft werden, welche elektrischen
Feldstärken benötigt werden, um die Zellen optimal zu stimulieren und
wie das Feld räumlich ausgelegt werden muss. Forschungen gebe es auch
an Wechselimplantaten, die dann zum Einsatz kommen können, wenn sich
bei künstlichen Gelenken im Laufe von etwa 15 bis 20 Jahren der
umgebende Kochen zurückgebildet hat. Mit elektrischen Feldern solle
nun erreicht werden, dass sich in diesen Regionen der Knochen
regeneriert und so die Gehfähigkeit der Patienten erhalten bleibt.
dpa mg yymv a3 tim