Gerechter Ausgleich: Für Pflege gibt nun auch höheres Erbe Von Ulrich Scharlack, dpa

Berlin (dpa) - Das 100 Jahre alte Erbrecht wird auf den ersten
Blick häufig als furchtbar ungerecht angesehen. Dass ein Kind zum
Beispiel jahrelang mit den Eltern partout keinen Kontakt haben will
und dennoch nach dem Tod von Mutter oder Vater per Gesetz am Erbe
beteiligt wird, verstehen viele nicht. Als vor Monaten Pläne für eine
Erbrechts-Reform bekannt wurden, wandten sich nicht wenige Bürger an
das Bundesjustizminsterium und plädierten für die Einführung eines
Enterbungsgrunds wegen «groben Undanks».

An diesem Mittwoch hat das Bundeskabinett nun den Gesetzentwurf
verabschiedet. Vielleicht wäre Bundesjustizministerin Brigitte
Zypries (SPD) dem Wunsch aus dem Volk nach ihrem persönlichen
Rechtsempfinden sogar gefolgt. Nur: Sie konnte nicht. Denn das
Bundesverfassungsgericht hatte schon 2005 ihren gesetzgeberischen
Spielraum stark eingeschränkt. Nach dem damaligen Urteil der
Karlsruher Richter dürfen Eltern Kinder nur in Extremfällen völlig
enterben und ihnen auch das sogenannte Pflichtteil entziehen - etwa
dann, wenn der Nachwuchs ihnen nach dem Leben getrachtet hat.

Bei einem «normalen» familiären Konflikt bleibt es dagegen beim
Erbe - auch zum Beispiel, wenn der Sohn dem Opa den Kontakt zum
Enkelkind verwehrt. Der Erste Senat erklärte damals, dass das
Pflichtteilsrecht Ausdruck einer grundsätzlich unauflösbaren
Familiensolidarität sei.

So gesehen konnte die Reform nur eine punktuelle Änderung des
Erbrechts sein, wie auch der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft
Erbrecht im Deutschen Anwaltverein, Andreas Frieser, sagt. Aber auch
diese kleine Reform wird einen durchaus beachtlichen Fortschritt
bringen - und auf einem anderen Feld ein Stück mehr Gerechtigkeit.
Denn nach dem Entwurf werden künftig alle Angehörigen, die Verwandte
vor deren Tod gepflegt haben, einen Anspruch auf Ausgleich ihrer
Pflegeleistung haben. Aus der Erbmasse wird, sofern dies nicht schon
vorher geschehen ist, erst einmal ihre Leistung honoriert. Erst dann
wird das Erbe unter den Erben nach der gesetzlichen Erbquote
verteilt.

Bisher konnten diesen Ausgleichsanspruch nur Kinder und
Enkelkinder geltend machen, nicht einmal die Ehefrau, die sich
vielleicht aufopferungsvoll jahrelang um den bettlägerigen Mann
gekümmert hat. «Mutter hat sich abgerackert und nach dem Tod kommt
der Sohn aus Australien und will nur kassieren - das wird es nicht
mehr geben», meint Erbrechts-Spezialist Wolfgang Schwackenberg.

Die Erbrechtsreform passt dabei durchaus in die Überlegungen zur
Reform der Pflegeversicherung. Auch mit ihr soll die häusliche Pflege
gestärkt werden, auch durch eine Pflegezeit und mehr Pflegegeld.
«Zwei Drittel der auf Pflege angewiesenen Personen werden nicht im
Pflegeheim, sondern im eigenen Zuhause versorgt», steht im
Gesetzentwurf des Justizministeriums. Dabei soll es nach dem Willen
der Bundesregierung möglichst auch bleiben, damit es in Deutschland
nicht zu einem Pflegenotstand kommt.

Der Gesetzentwurf zur Erbrechtsreform hat aber auch seine Grenzen.
Freunde oder Nachbarn, die einen Menschen jahrelang betreut haben,
gehen weiter leer aus. Der Deutsche Notarverein kritisiert genau
diesen Punkt und meint, dass für alle, «die den Erblasser während
längerer Zeit gepflegt haben», ein solcher Ausgleichsanspruch ins
Gesetz geschrieben werden soll. Zypries verwies am Mittwoch über ihre
Sprecherin allerdings darauf, dass der Gepflegte natürlich auch per
Testament seine Betreuer berücksichtigen kann.

Aber auch für Erblasser, die sich mit Enterbungsgedanken tragen,
gibt es im Gesetz gewisse Neuigkeiten. Danach kann nun jeder enterbt
werden, der zu einem Jahr Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt
ist und es dem Erblasser deshalb nicht zumuten ist, ihn zu bedenken.
Aber auch hier hat der Notarverein Bedenken: Was ist, wenn der
Erblasser von einer Tat weiß, Ermittlungen laufen, er aber stirbt,
bevor das Urteil abgeschlossen ist? Antwort nach dem gegenwärtigen
Gesetzentwurf: Dann hat der kriminelle Erbe Glück gehabt.
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