Discjockey wirbt für Kondome - Aids-Aufklärung in Malawi Von Stefan Waschatz, dpa

Lilongwe (dpa) - Gerade mal 150 bis 250 Kwatcha, rund einen Euro,
können die Prostituierten am Rande der malawischen Hauptstadt
Lilongwe von ihren Freiern verlangen. Das ist nur wenig mehr, als ein
Bier kostet. Hier im Hinterhof des «Culture Club» amüsieren sich in
dieser Nacht unter freiem Himmel knapp fünfzig Gäste. Sie sitzen auf
klapprigen Campingstühlen, auf den Plastiktischen stehen Bier- und
Schnapsflaschen. Auf der Tanzfläche bewegen sich vor allem Frauen im
Licht der bunt angemalten Glühbirnen. Die meisten tragen T-Shirt und
Jeans - anzusehen ist es den Frauen nicht, dass sie hier sind, um
sich für Sex bezahlen zu lassen. Der Discjockey spielt Pop- und
Dance-Musik, wie sie auch in europäischen Discos zu hören sein
könnte, vom Scheppern der übersteuerten Lautsprecher abgesehen.

Es ist kein gewöhnlicher Abend im «Culture Club». Darauf weist
schon ein großes weißes Transparent am Eingang hin: Die Family
Planning Association of Malawi (FPAM) betreibt Aufklärung mit einer
«Joint Safer Sex & Condom Promotion Show». Beiläufig, so als würde
er
Hinweise zum Interpreten des nächsten Musikstücks geben, bringt der
DJ im Laufe des Abends immer wieder Aids und HIV zur Sprache.
«Benutzt Kondome!», ruft er den Männern zu.

Die malawischen Männer zu erreichen, ist vielleicht der Schlüssel
für eine wirksame Aids-Bekämpfung. Wie sehr das Land unter der Seuche
leidet, belegen die offiziellen Zahlen der Nationalen Aids-Kommission
der malawischen Regierung: Danach sind 14 Prozent der 15- bis 49-
Jährigen mit dem tödlichen HI-Virus infiziert. Der Wert könne
allerdings auch bei bis zu 17 Prozent liegen, vermutet die
Weltgesundheitsorganisation WHO.

Die malawische Aids-Kommission sieht jedoch auch positive
Entwicklungen. Unter der Überschrift: «Gewinnt Malawi den Kampf gegen
HIV und Aids?» präsentiert sie Ergebnisse von Studien, die eine
Verhaltensänderung bei einem Großteil der malawischen Männer belegen
sollen. Zwischen 2000 und 2004 sei der Anteil von Männern, die Sex
mit verschiedenen Partnern haben, von 33 Prozent auf zwölf Prozent
gesunken. Im selben Zeitraum sei der Anteil jener, die beim Sex zur
Vermeidung einer Infektion ein Kondom benutzten, von 47 auf 59
Prozent gestiegen. Allerdings bleiben Vertreter der Aids-Kommission
eine Antwort schuldig, wie diese Zahlen ermittelt wurden.

Andere Erfahrungen haben jedenfalls die Prostituierten aus dem
«Culture Club» gemacht. Sie erzählen von Freiern, die immer mehr
Alkohol bestellen, um die Frauen zum Verzicht auf Kondome zu bewegen.
So verbreitet wie die Ignoranz gegenüber den Gefahren ungeschützten
Geschlechtsverkehrs, sei der Spruch: «Man kann Süßigkeiten nicht
genießen, die in einer Verpackung stecken.»

Der «Culture Club» liegt in einer auch für malawische Verhältnis
se
armen Gegend. Das Motel gegenüber ist kaum mehr als eine verfallene
Ruine. In den Nächten riecht es nach den rußenden Feuern der Händler,
die rings um den Club behelfsmäßige Kochstellen aufgebaut haben. In
heißem Fett braten unförmige Fleischbrocken. Ein paar Männer lümmel
n
vor dem Club, offensichtlich haben sie reichlich Alkohol getrunken.

«Die Frauen hier sind in einer schwierigen Situation», sagt FPAM-
Mitarbeiter Kosam Chilowa. Der 30-Jährige besucht regelmäßig den
«Culture Club», um die Prostituierten zu unterstützen. Jedes Mal hat
er auch Kondome im Gepäck, die er an die Frauen verteilt. Die
Verwendung und den Nutzen der Kondome erläutert er auch gelegentlich
im Gespräch mit Freiern. Ob die sich überzeugen lassen? Chilowa
lächelt müde bei dieser Frage. Zumindest müsse er harte
Überzeugungsarbeit leisten, sagt er dann.

Dramatisch ist die Situation der Frauen: «Sie werden geschlagen,
um ihren Lohn geprellt und einfach irgendwo ausgesetzt», erzählt
Chilowa. Letztlich seien sie ihren Kunden ausgeliefert. Auf die
Verwendung von Kondomen zu bestehen wäre ein Wagnis.

«Wir versuchen, die Rolle der Frauen so gut es geht zu stärken»,
sagt Chilowa. Einige haben mit Hilfe von FPAM kleinere Geschäfte
aufgebaut, verkaufen Kosmetika, Kleidung oder Obst und Gemüse auf
Märkten in der Umgebung. Damit sind sie weniger auf ihre Arbeit im
«Culture Club» angewiesen. Zur Arbeit von FPAM gehören aber auch der
Aufbau einer Freizeit-Fußballmannschaft für die Frauen oder die
Aufführung von Theaterstücken, in denen sie ihre Erfahrungen
verarbeiten können.

Die Aufklärungsbemühungen sind vielfältig. Eines haben die vielen
FPAM-Projekte im Kampf gegen Aids gemeinsam: Die Helfer gehen
dorthin, wo die Menschen sind. Die Hürden, in eine Beratung zu kommen
oder einen Aids-Test zu machen, sollen möglichst niedrig sein,
erläutert Bessi Nkhwazi, die verschiedene FPAM-Projekte betreut,
unter anderem jenes im «Culture Club».

Nkhwazi leitet auch das Kawali Youth Centre, in einem dicht-
bevölkerten Viertel Lilongwes. Dort präsentiert Nkhwazi stolz eine
Tabelle an einer Bürowand. Aus den unzähligen Spalten und Zeilen
lässt sich zum Beispiel herauslesen, dass im Juli 57 Zehn- bis 25-
Jährige über sexuell übertragbare Krankheiten aufgeklärt wurden. Di
e
Leiterin von FPAM, Effie Pelekamoyo, weist auf die Bedeutung dieser
Zahlen hin: «Statistiken können das Ausmaß zum Beispiel von HIV/Aids
beschreiben, sie können aber auch zeigen, dass wir etwas dagegen
tun.» Für sie sei es wichtig, etwa in Verhandlungen mit dem
Gesundheitsministerium, solche Zahlen vorlegen zu können.

Das statistische Material verrät jedoch nichts über das Geschick
und das Einfühlungsvermögen, mit denen die Helfer um Nkhwazi
versuchen, ihre Botschaft unter die Kinder und Jugendlichen in Kawali
zu bringen. Zum Beispiel mit dem Friseursalon-Trick: «Anfangs haben
sich nur wenige Mädchen hierher getraut», berichtet Nkhwazi. Als
Prostituierte seien die Mädchen beschimpft worden, die sich für das
Thema Sex interessierten. Doch Nkhwazi hat eine Lösung gefunden. Sie
ließ in dem Jugendzentrum einen Friseursalon einrichten. In einem
kargen Raum, in dem die weiße Farbe von den Wänden bröckelt, stehen
nun zwei Stühle, über die jeweils eine Trockenhaube ragt. Während die
Mädchen sich hier die Haare machen lassen, können sie mit FPAM-
Mitarbeitern sprechen - Sexualaufklärung nebenbei.

Ähnlich der Ansatz des Projekts beim Nanjiri-Markt, eine halbe
Autostunde vom Zentrum Lilongwes entfernt. Am Rande des Marktes, auf
dem bis zu 3000 Händler ihre Waren anbieten, hat sich eine
Menschentraube gebildet. Von FPAM ausgebildete Freiwillige spielen
ein Theaterstück: Es geht um zwei Frauen, die sich um einen Mann
streiten. Dieser allerdings erweist sich als untreu, gleichzeitig
lehnt er Verhütung ab. Am Ende verbünden sich die streitenden Frauen
angesichts der Angst vor Aids und lassen sich testen.

Trotz einfacher Botschaft kommt das Stück an: Die Darsteller
ernten gebannte Blicke. Als sie sich in einer angedeuteten Sex-Szene
auf dem Boden rollen, wird aus dem stillen Interesse lautes Gegröle.
Die FPAM-Helfer haben sich den Markt für ihr Projekt ausgesucht, weil
viele Frauen, die hier tagsüber Waren anbieten, an den Abenden ihren
Körper verkaufen.

Nur wenige Meter neben dem Platz, auf dem Theater gespielt wird,
wartet Lazarus Macloud in einem der Marktgebäude. Der 24-Jährige hat
sich mehrere Monate lang zum Gesundheitshelfer ausbilden lassen. Seit
drei Stunden ist Macloud an diesem Morgen hier, hat 15 HIV-
Schnelltests gemacht. «Davon waren zwei positiv», sagt Macloud. Ein
25-jähriger Mann und eine 24 Jahre alte Frau haben von ihm erfahren,
dass sie das Virus in sich tragen. «Das ist natürlich ein Schock»,
sagt Macloud. Er habe die beiden beraten, wo sie sich medizinisch
betreuen lassen können. Etwa eine Viertelstunde habe er dafür Zeit
gehabt.

Für die 24-Jährige sieht Macloud neben der Krankheit noch ein
weiteres Problem. «Sie hat ihrem Mann nichts davon erzählt, dass sie
hier ist. Wahrscheinlich bekommt sie Ärger, weil sie sich heimlich
testen ließ.» Es sei kein Einzelfall, dass eine Frau gegen den Willen
ihres Mannes einen Test mache und hinterher mit dessen Zorn rechnen
müsse. Häufige Konsequenz: «Die Männer ignorieren, dass ihre Frau u
nd
wahrscheinlich auch sie selbst HIV-positiv sind.»

Die Ignoranz gegenüber den Gefahren von Aids spüre er gelegentlich
auch im Bekanntenkreis, berichtet Macloud. Manche seiner Freunde
kritisierten ihn, einen gläubigen Baptisten, wegen seiner Arbeit.
Anstoß nähmen die meisten an der Empfehlung, die auch Macloud
verbreitet, Kondome zu benutzen. «Das sehen viele als Sünde», sagt
der 24-Jährige. Auch die Eltern hätten ihm seine Arbeit für FPAM
zunächst verbieten wollen. «Wir müssen die Realität akzeptieren. Es
ist wahr, dass manche Menschen Sex außerhalb der Ehe haben. Es ist
wahr, dass es Aids gibt. Kondome können helfen», sagt Macloud.

Kosam Chilowa, der die Prostituierten im «Culture Club» berät,
kann ebenfalls von Vorbehalten gegen seine Arbeit berichten. «Mit
diesen Frauen über Verhütung zu sprechen, empfinden viele als
anstößig», sagt der 30-Jährige. «Es wird noch einige Zeit dauern,
bis
unsere Arbeit von allen akzeptiert wird. Und bis unsere Botschaft
überall ankommt.»

Auf der Bühne des «Culture Club» stopfen an diesem Abend ein Gast
und eine Prostituierte Brot um die Wette in sich hinein. Dazu trinken
sie - möglichst schnell - eine kleine Flasche Sprite. Gewinner der
«Sprite and bread-competition» ist am Ende der Mann. Der schlaksige
Typ in dunkler Hose und weißem Hemd bekommt seinen Gewinn vom DJ
ausgehändigt - ein Bier und einen Stapel Kondome. Ob dieser
unverblümte Appell ankommt, ist fraglich: Als der Gewinner von der
Bühne geht, fallen die meisten Kondome in den Staub der Tanzfläche.
dpa swa yysw a3 fk kb