Jedes dritte Kind ab zwei Jahren versäumt Vorsorgeuntersuchungen

Sollten Krankenkassen zu den Untersuchungen auffordern?

Nur noch zwei von drei Kindern in Deutschland gehen zu den Vorsorgeuntersuchungen ab zwei Jahren. Vor allem arme oder wenig gebildete Eltern und Einwandererfamilien versäumen es nach
Aussage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, ihre Kinder zur «U7» bis «U9» zum Kinderarzt zu bringen. Die Untersuchungen finden im Alter von zwei, vier und fünf Jahren statt.

Probleme in der Sprachentwicklung oder Seh- und Hörstörungen würden daher oft erst bei der Einschulung erkannt, warnte Wolfram Hartmann vom Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte am Donnerstag in Köln. "Dann kann die Hilfe erst greifen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist." Hartmann forderte, die Krankenkassen, die die Geburtsdaten hätten, müssten die Eltern zur Teilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen auffordern. Kinderärzte und Bundeszentrale
werben daher mit der Kampagne «Ich geh zur U! Und Du?" für die Früherkennung.

Die Vorsorgeuntersuchungen werden von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Die U1 findet direkt nach der Geburt statt, die U2 bis U6 im ersten Lebensjahr. Daran nehmen noch mehr als 90 Prozent der Kinder teil. Bei der U7 bis U9 geht der Anteil dann stark zurück.

Hartmann wies auf die Sprachentwicklung hin, deren Untersuchung zum Programm der Kinderärzte bei der U7 bis U9 gehört. Normal sei bei der Einschulung ein Wortschatz von 2000 Wörtern. "Wir sehen aber Kinder, die kommen mit einem Wortschatz von 400 Wörtern zur Schule. Diese Kinder leiden dann das ganze Leben hindurch." Bei einer rechtzeitigen Förderung sei der Rückstand noch aufzuholen, nach der Einschulung aber nur noch sehr schwer. Vor allem türkische Familien ließen ihre Kinder oft sehr gewissenhaft impfen, brächten sie ansonsten aber nur zum Arzt, wenn sie krank seien. Spätaussiedler und Flüchtlinge wissen nach Aussage der Bundeszentrale oft nichts vom U-Programm. Die Kampagne wendet sich deshalb vor allem an Kindergärten in sozialen Brennpunkten.

(Internet: www.ich-geh-zur-u.de; www.kinderaerzte-im-netz.de; www.bzga.de)

SPD will Vorsorgepflicht für Kinder - Mediziner gegen Zwang

Die SPD will regelmäßige ärztliche Vorsorgeuntersuchungen für Kinder in Zukunft bis ins Grundschulalter zur Pflicht machen. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil kündigte im eine entsprechende Initiative seiner Partei an. Mit Hilfe der Vorsorgeuntersuchungen sollen Gesundheitsschäden oder Fehlentwicklungen rechtzeitig erkannt und behandeln werden.

Nach mehreren Fällen spät entdeckten Kindesmissbrauchs waren Forderungen laut geworden, mit verbindlichen Untersuchungen vorzubeugen. Die SPD will weiter gehen und auch im Bereich der Gesundheitsvorsorge aktiv werden. Heil stellte klar: "Es geht nicht um eine Beeinträchtigung von Elternrechten, sondern darum, dass die Gesellschaft frühzeitig gesundheitliche Probleme bei Kindern entdeckt, um gegensteuern zu können." In Finnland und in Frankreich habe man damit gute Erfahrungen gemacht.

Der Kindermediziner Professor Hubertus von Voss sprach sich gegen einen Zwang zu Vorsorgeuntersuchungen aus. "Dies nur wegen des möglichen Anstiegs der Misshandlungen zu fordern, scheint mir eher absurd als lebensnah zu sein», sagte Voss. Andererseits habe der Staat die Pflicht, der Gesundheitsvorsorge von Kindern höchste Priorität einzuräumen. Dieses Dilemma sei nur zu lösen, wenn die Prävention neu definiert werde. Dabei sei eine "aufsuchende Fürsorge ein probates Mittel". Der Ärztliche Direktor im Kinderzentrum München plädiert dafür, die Erzieherinnen in Krippen und Kindergärten stärker in Warnsysteme einzubeziehen und sie besser zu qualifizieren.


dpa