Arzneimittelsparpaket: Immer mehr Arznei zuzahlungsfrei

Möglicherweise 7600 Mittel: Gesetzliche Krankenkassen haben Liste erweitert

Die Zahl der für Kassenpatienten zuzahlungsfreien Arzneimittel hat sich innerhalb eines Jahres verfünffacht - und zwar auf genau 11 226. Dies teilte die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) im Juli 2007 in Berlin mit.

Von der Zuzahlung befreit sind nach dem 2006 beschlossenen Gesundheits-Sparpaket Nachahmermedikamente (Generika), deren Abgabepreis mindestens 30 Prozent unter dem so genannten Festbetrag liegt. Am 1. Juli vergangenen Jahres waren nur rund 2 100 Arzneien von der Zuzahlung befreit.

Bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln müssen Patienten im Normalfall mindestens fünf und höchstens zehn Euro selber tragen. Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr sind davon befreit. Auch Erwachsene sind davon ausgenommen, sofern die Zuzahlungen zwei Prozent ihrer jährlichen Bruttoeinkünfte übersteigen. Bei chronisch Kranken liegt diese Belastungsgrenze bei einem Prozent.

Der Verzicht auf die Zuzahlung wird möglich, wenn der Preis eines Medikaments besonders niedrig ist. Vorteil für die Krankenkassen: Sie müssen weniger erstatten - was sich trotz entgangener Zuzahlungen rechnet. Vorteil für die Patienten: Sie müssen in der Apotheke weniger tief in die Tasche greifen, weil sie die Zuzahlung einsparen. Die Preissenkungen waren durch das seit Mai geltende Arzneimittel-Spargesetz in Gang gekommen. Die Kassen können preisgünstige Arzneimittel seither von Zuzahlungen befreien, wenn ihr Preis mindestens 30 Prozent unter dem Festbetrag liegt, dem Höchstbetrag, den die Kassen bezahlen müssen.

Die gesetzlichen Krankenkassen haben im Jahr 2005 rund 25,39 Milliarden Euro für Medikamente ausgegeben - 3,56 Milliarden oder 16,8 Prozent mehr als 2004. Im Januar 2006 hat sich die Entwicklung fortgesetzt: Mit 1,94 Milliarden Euro lagen sie um 14,5 Prozent höher als im Januar 2005. Im Februar betrugen die Arzneiausgaben der Kassen bundesweit 1,809 Milliarden Euro. Das waren 93 Millionen Euro oder 5,4 Prozent mehr als im Februar 2005.

Die wichtigsten Inhalte des AVWG:

  • Die Krankenkassen können künftig Arzneimittel von der Zuzahlung befreien, wenn der Preis des Medikaments mindestens 30 Prozent unterhalb des Festbetrags liegt. Patienten erhalten so einen Anreiz, bei ihrem Arzt auf der Verordnung eines solchen preisgünstigen Präparates zu bestehen. Deren Marktanteil soll damit erhöht werden. Seit der Gesundheitsreform 2004 zahlen die Patienten für ein verordnetes Arzneimittel zehn Prozent des Preises –mindestens aber fünf und maximal zehn Euro – aus der eigenen Tasche.
  • Die Festbeträge für Arzneimittel werden abgesenkt. Krankenkassen können mit Pharmaherstellern spezielle Rabattverträge abschließen, um dadurch Mehrkosten der Versicherten für Medikamente zu verhindern, deren Preis über dem Festbetrag liegt.
  • Arzneimittel, die eine therapeutische Verbesserung darstellen, bleiben von Festbeträgen freigestellt.
  • Die Verantwortung der Ärzte für die Wirtschaftlichkeit ihrer Arzneimittelverordnungen wird durch eine Bonus-Malus-Regelung gestärkt. Dazu vereinbaren die Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) jedes Jahr für bestimmte Arzneimittelgruppen so genannte Durchschnittskosten pro definierte Dosiereinheit, die sich bei wirtschaftlicher Verordnungsweise ergeben. Ärzte, die diese Werte überschreiten, müssen einen Teil der Mehrkosten selbst tragen. Unterschreiten die Medikamentenausgaben einer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) den festgelegten Betrag, zahlen die Krankenkassen einen Bonus an diese KV. Die verteilt den Bonus an die wirtschaftlich verordnenden Ärzte.
  • Diese Bonus-Malus-Regelung gilt nur, wenn Kassen und Kassenärztliche Vereinigung auf Landesebene keine andere Vereinbarung erzielen, mit der die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung verbessert wird.
  • Krankenhäuser sollen bei der Entlassung der Patienten nur jene Arzneimittel anwenden, die auch bei einer weiteren Medikamententherapie im Anschluss an die Klinik wirtschaftlich und zweckmäßig sind.
  • Für Arzneimittel, die zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden können, gilt ein zweijähriger Preisstopp.
  • Generika-Hersteller gewähren den Kassen einen Abschlag von zehn Prozent des Herstellerabgabepreises ohne Mehrwertsteuer.
  • Naturalrabatte der Pharmahersteller an die Apotheken werden verboten. Barrabatte außerhalb der Arzneimittelpreisverordnung sind weiterhin möglich.
  • Die Praxis-Software in der Arztpraxis muss manipulationsfrei sein.

In der Sachverständigen-Anhörung des Gesundheitsausschusses am 18. Januar 2006 hatten die Spitzenverbände der Krankenkassen das geplante Arzneimittel-Sparpaket grundsätzlich begrüßt, gleichzeitig aber Korrekturen gefordert. Denn die durch das Gesetz angestrebte Entlastung werde nicht erreicht und durch die 2007 anstehende Mehrwertsteuererhöhung weiter reduziert.

Bestandteil des AVWG ist auch eine Änderung des Berechnungsverfahrens für die jährliche Steigerungsrate der Krankenhausausgaben in den Jahren 2006 und 2007. Danach dürfen die Ausgaben bundesweit um 0,63 Prozent steigen (ursprünglich: 0,83 Prozent im Westen und 1,41 Prozent im Osten). So will der Gesetzgeber einen ungerechtfertigten Ausgabenanstieg verhindern.

Hintergrund: Um die Beitragssätze stabil zu halten, dürfen die Klinikausgaben nur in dem Maße steigen, wie sich die beitragspflichtigen Einnahmen der Kassen entwickeln. Diese wurden bislang pro zahlendem Mitglied berechnet. Mitversicherte Familienangehörige wurden nicht berücksichtigt. Durch die Hartz-IV-Gesetze wurden jedoch viele Kassenmitglieder zu beitragsfrei mitversicherten Familienangehörigen. Dadurch steigen rein rechnerisch die Beitragseinnahmen je Mitglied, ohne dass aber die Finanzkraft der Krankenkassen steigt.

Bonus-Malus-Regelung im AVWG

Die Ärzte-Kritik am Gesetz für mehr Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (AVWG) entzündet sich vor allem an der Bonus-Malus-Regelung. Diese Regelung sieht vor, dass Ärzte mit Regress rechnen müssen, wenn sie eine bestimmte Zielgröße deutlich überschreiten. Auf der anderen Seite kommt es der Gesamtheit aller Ärzte einer Kassenärztlichen Vereinigung zu Gute, wenn die Zielgröße unterschritten wird.

Diese Bonus-Malus-Regelung kommt allerdings erst zum Tragen, wenn sich Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) und Krankenkassen in der gemeinsamen Selbstverwaltung auf Landesebene nicht auf alternative Vereinbarungen für eine wirtschaftliche Arzneimittelversorgung einigen können. Ärzte und Kassen sind schon länger verpflichtet, bis zum 15. November eines Jahres, Arzneimittel-Zielvereinbarungen für das Folgejahr abzuschließen. Um die Bonus-Malus-Regelung zu ersetzen, müssen diese regionalen Vereinbarungen regeln, wie das Nichteinhalten der Zielgrößen ausgeglichen wird.

Einigen sich die Vertragspartner nicht, greift die Bonus-Malus-Regel. Sie ist allerdings beschränkt auf besonders verordnungsstarke Wirkstoffgruppen. Das betrifft zum Beispiel Mittel bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magenmittel, starke Schmerzmittel oder Cholesterinsenker. Voraussetzung ist generell, dass ein Arzt zwischen verschiedenen gleich guten Präparaten innerhalb einer Wirkstoffgruppe wählen kann.

Laut AVWG legen Ärzte und Kassen auf Bundesebene Durchschnittskosten fest, an denen sich Ärzte orientieren sollen. Dies muss erstmals bis zum 15. September 2006 geschehen. Dabei geht es nicht um den Gesamtpreis, der wesentlich von der Menge verordneter Medikamente abhängt. Entscheidend sind Durchschnittskosten pro Dosiereinheit des verordneten Wirkstoffes - die angenommene mittlere Tagesdosis (Defined Daily Dose, DDD). Im Klartext: Ärzte und Kassen vereinbaren als bundesweit geltende Zielgröße, wie viel bestimmte Arzneimittel im Durchschnitt pro Tag kosten sollen.

Es geht bei der Bonus-Malus-Regelung nicht darum, Patienten etwas vorzuenthalten, sondern bei gleicher Wirkstoff-Qualität das preisgünstigere Präparat zu verordnen. Verordnet der Arzt zum Beispiel einen Cholesterinsenker, kann er vom Wirkstoff Simvastatin (Originalpräparat) für 63 Cent/DDD zu einem wirkstoffidentischen Generikum wechseln, das im günstigsten Fall 31 Cent/DDD kostet.

Überschreitet ein Arzt die vereinbarten Zielgrößen zwischen fünf und zehn Prozent, zahlt er laut AVWG 20 Prozent der Mehrkosten zurück. Zwischen zehn und 30 Prozent Überschreitung zahlt er 30 Prozent an die Krankenkassen zurück, bei mehr als 30 Prozent Überschreitung die Hälfte der Mehrkosten.

Bleiben die Verordnungen aller Ärzte einer KV unterhalb der vereinbarten Zielgrößen, zahlen die Krankenkassen einen Bonus an die KV. Dieser Bonus wird von der KV zwischen allen Ärzten aufgeteilt, die die Zielmarke eingehalten haben. Das Bonus-Malus-System ist damit weder ein Kollektivbudget noch ein Budget für einzelne Arztpraxen. Es orientiert sich an durchschnittlichen Therapiekosten.

Die DDD ist eine rechnerische Größe und nicht identisch mit einer therapeutischen, empfohlenen oder verschriebenen Dosis. Entwickelt wurde sie 1976 für die Arzneimittel-Verbrauchsforschung. Als Maßeinheit wird sie im Rahmen des anatomisch-therapeutisch-chemischen Klassifikationssystems (ATC) von einer Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) berechnet. Seit 2001 übersetzt das Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) die ATC-Klassifikation ins Deutsche.

(Quellen: AOK, dpa)