Bundesregierung will Plan gegen Wohnungslosigkeit beschließen Von Theresa Münch, dpa

Das Ziel ist ambitioniert: Bis 2030 sollen alle Menschen in
Deutschland Zugang zu einer Wohnung haben. Die Bauministerin legt
einen Aktionsplan vor. Doch kann dieser Obdachlosigkeit beenden?

Berlin (dpa) - Sie schlafen auf der Straße, unter Brücken, in Zelten
oder kommen bei Freunden und Verwandten unter: Hunderttausende
Menschen in Deutschland haben keine eigene Wohnung. Die
Bundesregierung hat zugesagt, ihnen allen bis 2030 angemessenen und
bezahlbaren Wohnraum anzubieten. An diesem Mittwoch will das Kabinett
einen von Bauministerin Klara Geywitz (SPD) vorgelegten Aktionsplan
beschließen. «Gemeinsam für ein Zuhause», heißt das Papier. Vertr
eter
der Betroffenen vermissen allerdings konkrete Lösungen - vor allem
zur Frage, wie Wohnungslose angesichts der Konkurrenz auf dem
Mietmarkt an diese Wohnungen kommen sollen. 

Wie viele Menschen betroffen sind

Wie viele Menschen in Deutschland keine Wohnung haben, weiß niemand
genau. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) geht
in ihren aktuellsten Schätzungen davon aus, dass im Verlauf des
Jahres 2022 insgesamt 607 000 Menschen betroffen waren - manche
temporär, manche über Monate oder das ganze Jahr. 

Die offensichtlichste Form der Wohnungslosigkeit ist Obdachlosigkeit
- wenn Menschen im Freien, in U-Bahnhöfen, Zelten oder Abbruchhäusern
schlafen. Rund 50 000 lebten laut Schätzung im Jahr 2022 ganz ohne
Unterkunft auf der Straße. Noch größer - aber versteckter - ist der
Anteil der Menschen, die aus Mangel an eigener Wohnung bei Freunden
oder Verwandten unterkommen.  

Insgesamt stieg die Zahl der Wohnungslosen den Schätzungen zufolge
zuletzt sehr deutlich, vor allem durch Flüchtlinge aus der Ukraine.  

Warum Menschen ihre Wohnung verlieren

Dazu listet das Bauministerium in seinem Aktionsplan eine ganze Reihe
von Ursachen auf. Jeder Vierte habe Mietschulden gehabt - aus den
unterschiedlichsten Gründen wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Sucht
oder Schicksalsschlägen. Viele hätten ihre Wohnung nach Trennung,
Scheidung oder dem Tod geliebter Menschen verloren. Junge Leute
würden aus dem Elternhaus geworfen. Nicht wenige - vor allem Frauen -
flüchteten vor Partnerschaftsgewalt. Auch Kündigungen wegen
Eigenbedarfs der Vermieter führten dazu, dass Menschen buchstäblich
auf der Straße landeten. Alle haben gemein, dass ihnen plötzlich der
Boden unter den Füßen weggezogen wird. 

Rund 39 Prozent der Betroffenen hatten laut Wohnungslosenbericht des
Bundes noch nie eine eigene Wohnung in Deutschland - darunter sind
viele Geflüchtete, aber auch junge Erwachsene, die freiwillig oder
gezwungenermaßen aus dem Elternhaus ausziehen. 

Was fehlt

Besonders in den Metropolen ist die Konkurrenz um bezahlbare
Wohnungen hoch - so hoch, dass Wohnungslose kaum eine Chance haben,
selbst eine Unterkunft zu finden. Notunterkünfte sind keine
Dauerlösung - auch wenn viele Betroffene monatelang hier unterkommen.
Andere nutzten die Hilfe gar nicht, heißt es im Aktionsplan des
Bauministeriums. Sie kämen nicht klar mit so vielen Menschen auf
engem Raum, mit dem Mangel an Privatsphäre, erlebten Gewalt und
Diebstahl. Außerdem gebe es zu wenig Angebote für Frauen oder
Hilfesuchende mit Haustieren. 

Doch das ist nicht das einzige Problem: Wer auf der Straße lebt, ist
häufig gesundheitlich angeschlagen. Doch einen Hausarzt zu finden,
ist besonders für Obdachlose schwierig. Ihr Versicherungsstatus sei
oft nicht geklärt. Dazu komme Scham, die Angst vor Sprachproblemen.
Dabei hätten viele Wohnungslose Traumata, weil Gewalt für sie auf der
Tagesordnung stehe. 

Was die Politik plant

Laut Koalitionsvertrag wollen SPD, Grüne und FDP «bis 2030 Obdach-
und Wohnungslosigkeit überwinden». Zuständig für die Versorgung mit

Wohnraum sind zwar in erster Linie Kommunen und Länder, die Ampel
will aber für stärkere Zusammenarbeit sorgen. Kernziel sind mehr
bezahlbare Wohnungen und das Verhindern von Wohnungsverlust. Bund,
Länder und Kommunen sollen prüfen, ob sie Wohnungslose bei ihrer
Wohnraumförderung ausreichend berücksichtigt haben. Das
Bauministerium verweist darauf, dass schon jetzt Rekordsummen in den
sozialen Wohnungsbau investiert würden. Außerdem sei das Wohngeld
verdoppelt und für deutlich mehr Haushalte zugänglich gemacht
worden. 

Bei Mietschulden soll es bessere Beratung und Hilfe beim Abstottern
geben. In Notunterkünften sollen Mindeststandards für mehr
Privatsphäre eingehalten werden. Alle Wohnungslosen sollen Zugang zur
Krankenversicherung bekommen. Damit Wohnungslose am öffentlichen
Leben teilnehmen und zum Beispiel auch Wohnungsinserate finden
können, soll kostenloses WLAN an öffentlichen Orten und in
Notunterkünften ausgebaut werden.

Wie das bewertet wird

Sozialverbände und Vertreter von Betroffenen erklärten zunächst
einmal, es sei gut, dass die Bundesregierung das Problem anpacke. Im
Aktionsplan fehlen ihnen allerdings mehr konkrete Lösungsansätze. Im
Mietrecht zum Beispiel fehle eine Reform zur Schonfristzahlung,
erklärten die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe und der
Mieterbund. Dabei geht es um die Frage, ob eine Kündigung bei
Nachzahlung von Mietschulden noch wirksam ist oder nicht. Die
Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau reichten zudem nicht aus.
Die Diakonie kritisierte: «Es fehlt an konkreten, wirksamen sozialen
und wohnungsbezogenen Maßnahmen zur Schaffung von Wohnraum für
wohnungslose Menschen sowie zur Verhinderung von Wohnungsverlusten.»