Neue Regeln geplant - Gibt es mehr Nierenspenden? Von Sascha Meyer, dpa

In Deutschland müssen Tausende Patientinnen und Patienten lange auf
dringend benötigte Spenderorgane warten - darunter auch auf Nieren.
Können flexiblere Regeln helfen, den Mangel zu beheben?

Berlin (dpa) - Eine Organspende ist für viele Gesunde vor allem eine
Frage für die Zeit nach dem Tod. Doch manche Organe wie Nieren können
schon zu Lebzeiten entnommen werden und Schwerkranken ersehnte
Rettung bringen. Ein prominenter Spender war der heutige
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der seiner Frau Elke
Büdenbender 2010 eine Niere gab. Doch für solche Spenden gelten
Schranken, und nicht immer ist eine andere Niere auch passend.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bringt daher jetzt
Gesetzespläne auf den Weg, die erweiterte Möglichkeiten vorsehen -
für mehr Spenden auch «über Kreuz» oder anonym.

Vor dem Hintergrund niedriger Organspendezahlen bei Verstorbenen und
langer Wartezeiten von bis zu acht Jahren auf eine
Nierentransplantation sei eine Novellierung notwendig, heißt es in
einem Entwurf, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Zunächst
berichtete der «Stern» darüber. Zentrales Ziel ist, den Kreis der
Spender und Empfänger zu erweitern. 

Das Problem: Seit langem reicht die Zahl der Spendernieren nicht, um
den Bedarf zu decken, wie im Referentenentwurf erläutert wird. So
meldeten sich nach Angaben der Stiftung Eurotransplant im vergangenen
Jahr mehr als 2600 Menschen auf der Warteliste an. Währenddessen
benötigen viele Patienten Dialysebehandlungen. Noch in der Wartezeit
starben demnach 289 Patientinnen und Patienten. 

Die Ausgangslage: Für Nierenspenden zu Lebzeiten gelten derzeit enge
Grenzen. Sie sind laut Gesetz nur zulässig an Verwandte ersten oder
zweiten Grades, Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Verlobte oder
andere, die Spendern «in besonderer persönlicher Verbundenheit
offenkundig nahestehen». Eine Niere darf zudem nur genutzt werden,
wenn es keine geeignete eines Toten gibt. Die Vorgaben sollen die
Freiwilligkeit von Spenden sichern und auch möglichen Organhandel
verhindern. 

Nicht passende Organe: Schwierig wird es, wenn eine Spende aus
medizinischen Gründen nicht möglich ist und die Niere abgestoßen
werden könnte. Denn für eine Transplantation müssen Faktoren
übereinstimmen, wozu eine kompatible Blutgruppe gehört. Bis zu 40
Prozent der Nierenspenderinnen und -spender seien aber mit ihren
vorgesehenen Empfängerinnen und Empfängern inkompatibel, heißt es im

Entwurf. Dann hätten Betroffene nur noch die Option, sich auf
Wartelisten zu setzen. 

Neue Ausrichtung: Generell möglich werden sollen mit den
Gesetzesplänen mehr Lebendspenden. Dafür soll zum einen die Vorgabe
aufgehoben werden, dass sie nur zulässig sind, wenn kein Organ eines
Gestorbenen verfügbar ist. Abweichend von den Vorgaben zum
«Näheverhältnis» von Spender und Empfänger sollen Spenden lebende
r
Personen auch in zwei zusätzlichen Konstellationen ermöglicht
werden. 

Überkreuzspenden: Geregelt werden soll zum einen das Übertragen einer
Niere, wenn es unter Organspendepaaren (Spender/Empfänger)
medizinisch nicht möglich ist. Künftig soll die Niere dann nicht an
die geplante nahestehende Person gehen, sondern «über Kreuz» an einen

passenden Empfänger, der mit seinem vorgesehen nahestehenden Spender
ebenfalls nicht kompatibel ist. Im Gegenzug geht die Spenderniere des
anderen Paares an die Empfängerin oder den Empfänger des ersten
Paares. Solche Kombinationen können auch mehr als zwei Paare
umfassen.

Anonyme Spenden: Kommen soll als zweite neue Möglichkeit eine
uneigennützige Nierenspende - ohne, dass man den Empfänger oder die
Empfängerin kennt. Die Niere kann dann an ein nicht zusammenpassendes
Spendepaar gehen oder an jemanden auf der Warteliste. Die Vermittlung
richte sich nur nach medizinischen Kriterien, heißt es im Entwurf.
Das solle einer möglichen Kommerzialisierung vorbeugen. Diese
anonymen Spenden sollen einen geplanten nationalen «Pool» ergänzen,
der miteinander kompatible Spender und Empfänger ermitteln soll.

Schutz und Aufklärung: Geregelt werden sollen eine umfassende
Aufklärung und Beratung der Spenderinnen und Spender vor einer Spende
und eine individuelle Betreuung im Transplantationszentrum über den
gesamten Prozess. Dazu soll es in den Zentren verpflichtend
mindestens eine Vertrauensperson geben. Besonderer Schutz sei
geboten, da dies kein Heileingriff sei, sondern für Spender Risiken
und oft eine emotional belastende Lage bedeute. Spender sollen auch
mit Extrapunkten auf der Warteliste berücksichtigt werden, wenn sie
selbst einmal eine Niere brauchen.

Effekte: Wie viele zusätzliche Nierenspenden zu erwarten sind, kann
mangels Erfahrungswerten in Deutschland nur grob überschlagen werden.
Nach ersten Expertenschätzungen werden nach dem schrittweisen Aufbau
eines nationalen Programms jährlich rund 100 Überkreuzspenden als
realisierbar angesehen - und bei den nicht an spezielle Empfänger
gerichteten anonymen Nierenspenden drei. Die Zahl der Nieren von
lebenden Spendern könnte so von 600 auf 700 im Jahr steigen.

Register: Im Blick steht auch ein gerade gestartetes Online-Register,
in dem man ein grundsätzliches Ja oder Nein zu einer Organspende nach
dem Tod eintragen kann. Kommen soll die Möglichkeit, dass - neben
Entnahmekliniken für Organe - auch Einrichtungen das Portal abrufen
können, wenn es um Gewebespenden geht, etwa Augenhornhaut,
Herzklappen oder Blutgefäße. Gestrichen werden soll auf Wunsch der
Länder eine 2020 vom Bundestag beschlossene Vorgabe, dass digitale
Einträge ins Register auch in Ausweisstellen und Passämtern
ermöglicht werden sollen.