So viele Drogentote wie noch nie in NRW - Experten besorgt Von Frank Christiansen, dpa

Mit 872 Drogentoten hat Nordrhein-Westfalen ein weiteres
Negativ-Rekordjahr hinter sich. Experten befürchten nun, dass es noch
schlimmer kommen könnte.

Düsseldorf (dpa/lnw) - Angesichts eines erneuten Höchststands bei der
Zahl der Drogentoten in Nordrhein-Westfalen zeigen sich Suchtforscher
zunehmend besorgt. Die Zahl der Todesfälle stieg im vergangenen Jahr
nach Angaben des NRW-Innenministeriums um 24 Prozent auf 872 Tote im
Zusammenhang mit dem Konsum illegaler Drogen. Seit 2015 (181
Drogentote) hat sich die Zahl damit fast verfünffacht. 

Dass die Ursachen für diesen Anstieg in NRW bis jetzt nicht klar
seien, liege an einer unzureichenden Datenbasis, sagt Professor
Daniel Deimel (TH Nürnberg). «Es wird viel zu wenig obduziert und
viel zu wenig toxikologisch begutachtet. Die Qualität der Daten ist
rudimentär.» 

Unbestritten sei aber: «Bei einem akuten Drogentod spielen Opioide
die Hauptrolle. Das Atemzentrum wird gelähmt.» Bei einer bundesweiten
Untersuchung von Heroin fand sich unlängst in 3,6 Prozent der Proben
Fentanyl. «Das ist mehr, als ich gedacht habe», sagt Deimel. 

Zombie-Droge Fentanyl

Das Problem: Synthetische Opioide wie Fentanyl, auch als
«Zombie-Droge» bekannt, sind 100 Mal tödlicher als Heroin. Statt 200

Milligramm Heroin reichen bereits 2 Milligramm Fentanyl für eine
tödliche Überdosis. In den USA starben durch Überdosen synthetischer

Opioide - vor allem Fentanyl - allein im Jahr 2021 mehr als 70 000
Menschen.

Suchtexperten empfehlen ein Drug-Checking, also die Möglichkeit, dass
Drogenabhängige ihr Heroin auf tödliche Beigaben testen können. «Di
e
vorhandenen Schnelltests reagieren allerdings nur auf einzelne
Stoffe», räumt Deimel ein Es sei also möglich, trotz eines solchen
Tests eine Überdosis mit einem anderen synthetischen Opioid zu
erleiden. 

Seit die Taliban in Afghanistan den Mohnanbau bekämpfen und die
Mohnfelder vernichten, befürchten Experten wie Deimel ein Ausweichen
auf die deutlich gefährlicheren synthetischen Opioide. Diese
Entwicklung werde aber wohl erst noch einsetzen. 

«In einigen EU-Staaten sehen wir, dass Fentanyl mehr als bisher auch
auf dem europäischen Drogenmarkt angekommen ist. Auch in Deutschland
gibt es dafür erste Anzeichen», berichtet der Beauftragte der
Bundesregierung für Drogenfragen, Burkhard Blienert. 

Mohnfelder verschwunden 

«Die große Mehrzahl der Drogentoten sind Opioidabhängige. Der Rest
geht auf das Konto von Crack oder Mischgebrauch», sagt Professor
Heino Stöver (Frankfurt University of Applied Sciences).
«Synthetische Opioide sind unkalkulierbar. Sie sind aber jetzt auf
dem Markt. Wir haben auf Satellitenbildern gesehen, dass der
Mohnanbau in Afghanistan bis auf ein Minimum verschwunden ist»,
berichtet Stöver.

«Das Heroinangebot wird bald katastrophal einbrechen, sobald die
Lagerbestände verbraucht sind.» Immerhin seien 95 Prozent des Heroins
auf dem Weltmarkt bislang aus Afghanistan gekommen. «Das wird dazu
führen, dass die Drogenkartelle versuchen, die bestehende Nachfrage
mit synthetischen Opioiden zu stillen», sagt Stöver und fragt: «Sind

wir vorbereitet?» 

Das Gegenmittel Naloxon sollte flächendeckend verteilt und den
Abhängigen der Gebrauch beigebracht werden. Manche Ärzte hätten aber

Angst, das Mittel zu verschreiben. Stöver und andere Suchtforscher
haben ein ganzes Maßnahmenprogramm erarbeitet, für das es aus ihrer
Sicht höchste Zeit ist.  

Crack auf dem Vormarsch

Eine Entwicklung, die schon vor einiger Zeit eingesetzt hat, ist
angesichts von hochreinem, billigen Kokain, das den Markt flutet,
eine andere Tendenz: «Crack ist auf dem Vormarsch», sagt Deimel.
Crack kann leicht aus Kokain und Backpulver hergestellt werden.
Streetworker in Düsseldorf und Köln hatten bereits vor einiger Zeit
Alarm geschlagen. Mit Crack sei die Drogenszene inzwischen in härtere
Konsummuster abgerutscht. «Dadurch ist die Verelendung stärker
geworden.» 

«Wir müssen extrem wachsam sein, wie sich die Drogenlage entwickelt,
die Prävention stärken und unser Hilfesystem noch viel besser für die

heutigen und zukünftigen Aufgaben aufstellen», sagt der
Bundesbeauftragte Blienert.