Aus Sechs mach Eins? Pro und Contra einer landesweiten Ethikkommission Von Marco Krefting, dpa

Es geht um Forschung an Menschen, mit Bioproben und um
Patientendaten: Jahr für Jahr prüfen die Ethikkommissionen Hunderte
Vorhaben von Medizinern. Jetzt steht eine umstrittene Reform zur
Debatte.

Stuttgart/Freiburg (dpa/lsw) - Es ist eine eher beiläufige Erwähnung
in einer Pressemitteilung: Das Forum Gesundheitsstandort will einen
Vorschlag aus der Wissenschaft prüfen, künftig eine übergreifende und

landesweit zuständige Ethikkommission zu etablieren. Bisher gibt es
sechs medizinische Ethikkommissionen im Südwesten, die
Forschungsvorhaben mit Menschen oder menschlichem Biomaterial wie
Gewebe und Blut prüfen und über deren Ausführung entscheiden.

Es geht dabei ebenso um sensible Gesundheitsdaten, und auch gesunde
Probanden können Teil solcher Studien werden. Diese befassen sich zum
Beispiel mit der Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln. Die
sechs Ethikkommissionen wussten lange gar nichts von den Plänen - und
halten sie auch nicht für sinnvoll. 

Worum geht es? 

Das sogenannte Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg hat sich
im Dezember der Frage gewidmet, wie von der Wissenschaft und
Forschung entwickelte Medikamente, Therapie- und Diagnosemethoden
schneller in die Regelversorgung und damit den Patientinnen und
Patienten zugutekommen. Darin sind mehr als 600 Fachleute aus
Kliniken und Pflegeeinrichtungen, Krankenkassen, Forschungsinstituten
und Universitäten sowie Biotech-, Pharma- und Medizintechnikfirmen
vernetzt. Ein Vorschlag aus der Wissenschaft dabei war, eine
Ethikkommission mit übergreifender landesweiter Zuständigkeit zu
schaffen. 

Die Prüfung erfolgt nach Angaben des Wissenschaftsministeriums
ergebnisoffen. Ziel seien - unter Beachtung höchster ethischer
Standards - bestmögliche Rahmenbedingungen für Forschung und
Entwicklung etwa an Hochschulen und Universitätskliniken, und vor
allem Genehmigungsverfahren für klinische Studien zu beschleunigen,
sagte eine Sprecherin.

Wofür gibt es die Kommissionen?

Die bisherigen Kommissionen haben ihren Sitz in Freiburg, Heidelberg,
Mannheim, Tübingen, Ulm (alle Hochschulbereich) und Stuttgart
(Landesärztekammer). Die medizinischen Gremien prüfen
Forschungsvorhaben mit Menschen oder menschlichem Bioproben und
entscheiden, ob diese rechtlich und ethisch vertretbar sind. Nach
Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte darf
beispielsweise erst mit der klinischen Prüfung eines Medizinproduktes
begonnen werden, wenn die zuständige Ethikkommission zugestimmt hat. 

«Die Prüfung durch die Ethikkommission dient dem gesundheitlichen und
rechtlichen Schutz des Patienten oder Probanden, aber auch der
rechtlichen Beratung des Arztes», erläuterte ein Sprecher der
Landesärztekammer. Besonders strenge Maßstäbe gelten demnach für
Studien mit Kindern und an sogenannten nichteinwilligungsfähigen
Erwachsenen.

Wie arbeiten die Kommissionen?

Sie kontrollieren, ob die in gesetzlichen Vorschriften genannten
Voraussetzungen erfüllt werden. Je nach Art des Vorhabens gelten
verschiedene rechtliche, teils internationale Grundlagen. Dazu zählen
laut dem Vorsitzenden der Freiburger Ethikkommission, Prof. Rudolf
Korinthenberg, auch Erklärungen des Weltärztebundes, die
Berufsordnung sowie Gesetze zu Strahlen- und Datenschutz.
Entsprechend können sich die Abläufe im Detail unterscheiden.

Wie viele Vorhaben prüfen die Kommissionen?

Landesweit geht es um Tausende Vorgänge im Jahr - teils neue, teils
Änderungsanträge. Korinthenberg etwa sprach von einem Anstieg bis
2016 auf 500 bis 600 Neuanträge pro Jahr in Freiburg. Ein Ausreißer
sei das Corona-Jahr 2020 mit 720 gewesen. Zusätzlich seien jährlich
zwischen 1500 und 1600 Änderungsanträge zu bearbeiten. Teils gibt es
gesetzlich vorgeschriebene Zeiträume bis zu einer Entscheidung. «In
der Corona-Phase lag unsere mittlere Bearbeitungszeit für
Covid-spezifische Projekte bei 7 bis 14 Tagen.» Das ist schneller als
üblich. Das Gros der Anträge kommt demnach aus der Medizin. Aber
Korinthenberg nennt auch die Wirtschafts- und
Verhaltenswissenschaften. 

Was ist das Problem? 

«Da es sich bei den Bewertungen stets um Einzelfall- und
Ermessensentscheidungen der jeweiligen Ethikkommission handelt, kann
gerade bei standortübergreifenden Forschungsprojekten nicht
ausgeschlossen werden, dass identische Anträge an den Standorten
unterschiedlich und zeitlich versetzt bewertet werden - eine
Kommission also ein Vorhaben genehmigt und eine andere Kommission
dies ablehnt», erläuterte das Ministerium. Das ist auch
Pharmaunternehmen ein Dorn im Auge: Es sei nicht gut, innerhalb des
Landes föderale Strukturen zu haben, sagte der Vorsitzende des
Landesverbands der Chemischen Industrie, Martin Haag, bei der
Jahresbilanz. «Jede Standardisierung macht es einfacher.»  

Wer sind die Befürworter?

Haag, der auch Werkleiter des Pharmaherstellers Roche Diagnostics
GmbH in Mannheim ist, sprach sich deutlich dafür aus, eine statt der
bisherigen sechs Kommissionen einzusetzen. «Das würde die Verfahren
vereinheitlichen und beschleunigen.» Ob es am Ende um eine
Zusammenlegung oder eine siebte Kommission gehen könnte, ist noch
unklar. Laut dem Ministerium haben vor allem Forumsmitglieder aus der
Universitätsmedizin im Zuge der Strategieentwicklung den Wunsch nach
einer einheitlichen Ethikkommission geäußert - mit breiter Zustimmung
der Expertinnen und Experten aus Wirtschaft und Versorgung.

Was sagen die Gegner der Reform?

Aus Sicht der bestehenden Ethikkommissionen würde der bürokratische
Aufwand bei einem landesweiten Gremium steigen und Bearbeitungszeiten
verlängern statt verkürzen. So wies die Ethikkommission Heidelberg
darauf hin, dass bei bundesweiten Forschungsvorhaben gemäß
Berufsordnung der Landesärztekammer weiter auch Stellungnahmen
anderer Kommissionen einzuholen seien. Auch fehlten dann Kenntnisse
vor Ort, wie es in den Antworten heißt. Und das gilt Korinthenberg
zufolge auch in die andere Richtung: «Eine offene und zielgerichtete
Beratung erfordert das Vertrauen der Antragstellenden in die
Kompetenz und Qualität der Beratung durch ihre lokale
Ethikkommission.»    

Seiner Ansicht nach gehen Verzögerungen auch nicht vorrangig auf das
Konto der Kommissionen, sondern auf nicht genutzte Möglichkeiten. So
erklärte die Tübinger Kommission, dass an mehreren Standorten
geplante Projekte, die im Zuständigkeitsbereich unterschiedlicher
Ethikkommissionen stattfinden sollen, schon jetzt in sogenannten
koordinierten Verfahren beraten werden können. Hierbei hat eine
Kommission die Federführung, die anderen arbeiten zu. «Dieses
Verfahren ermöglicht es, in einem planbaren Zeitrahmen der
Beratungspflicht der beteiligten Standorte nachzukommen.»