Die, der, das, mit oder ohne? Nutella wird 60 Von Christoph Sator, dpa

Was Deutschen das Nutella-Brot ist Italienern die Nutella-Pizza und
Franzosen das Nutella-Crêpe. So oder so: Der Nuss-Nougat-Aufstrich
ist fast überall auf der Welt ein Erfolg. Nun wird er 60.

Rom (dpa) - Es gibt nun wirklich wichtigere Fragen auf der Welt. Aber
unabhängig von den großen Zeitläuften und all den alltäglichen
Problemen beschäftigt eine Frage die Frühstückstische schon seit
Jahrzehnten: Nutella mit Butter oder ohne? Der Riss geht durch
Familien, durch Wohngemeinschaften und auch durchs Bundeskabinett. 

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), gewissermaßen vom Fach,
hält beides zusammen für eine «eklige Angelegenheit». Die grüne
Außenministerin Annalena Baerbock hingegen: «Wenn, dann natürlich mit

Butter, richtig ungesund.» An diesem Samstag (20.4.) wird der
zuckersüße Dickmacher - 81 Kalorien auf einen Löffel - 60 Jahre alt.


Wobei «Butter oder nicht?» eine typisch deutsche Frage ist. In
Italien, dem Heimatland der Nuss-Nougat-Crème, legt man aufs
Frühstück grundsätzlich weniger Wert und auf Butter auch. Dafür
leistet man sich andere Extravaganzen: In Rom und anderswo gibt es
Nutella auch als Pizza, mit Puderzucker obendrauf. Die Kombination
ist so mächtig, dass sie nur in kleinen Teilen verkauft wird, 1,20
Euro das Stück. Das reicht für viele Stunden. In Frankreich wiederum,
wie man vom Sommerurlaub weiß, gehören dick damit bestrichene Crêpes

zu den beliebtesten süßen Sünden.

Haselnüsse statt Kakaopulver

Das erste Glas Nutella lief am 20. April 1964 in einem damals noch
verhältnismäßig kleinen Familienbetrieb namens Ferrero in Alba vom
Band, einem Städtchen im Piemont. Im Norden Italiens hatte man schon
im 19. Jahrhundert damit angefangen, bei der Herstellung von Süßwaren
anstelle von Kakaopulver gemahlene Haselnüsse zu verwenden. Das ergab
braune Nougatcreme, beispielsweise in Form von Gianduiotti-Pralinen.
Die Rohmasse gab es im Laden aber auch als Aufstrich zu kaufen. Der
Sohn des Firmengründers, Michele Ferrero, kam dann auf die Idee, das
Ganze in Gläser abzufüllen.

In den ersten Jahren hieß dies noch «Supercrema». Der Durchbruch kam

aber erst mit der erzwungenen Umbenennung in den 1960ern, weil in
Italien seither nichts mehr mit dem Prädikat Super verkauft werden
darf: Nut- steht für Nuss, -ella ist eine der klassischen
italienischen Endungen. Die Witwe Maria Franca Ferrero verriet der
Zeitung «Corriere della Sera» am Freitag übrigens, dass der Name in
Frankfurt am Main erfunden wurde. Ihrem Mann sei das damals im Hotel
beim Warten auf ein Geschäftsessen eingefallen. Er habe sofort
gesagt. «Das ist der Name eines Produkts, das in der ganzen Welt
laufen wird.»

So kam es dann auch. Heute ist Ferrero (auch: «Mon chéri», «Ferrero

Küsschen», «Kinder Schokolade») ein riesiger Betrieb mit einem
Jahresumsatz von mehr als 17 Milliarden Euro, der seine Produkte in
fast allen Ländern der Welt verkauft. An Nutella werden pro Jahr 500
000 Tonnen hergestellt. Die Deutschen gehören seit jeher zu den
treuesten Kunden. Aus DDR-Zeiten hält sich bis heute aber auch die
Konkurrenz von Nudossi am Leben.

Von 13 bis 51 Prozent Nuss

Aus Nutella ist längst ein Synonym für Nuss-Nougat-Aufstriche aller
Art geworden. In italienischen Feinkostgeschäften gibt es die
verschiedenen Sorten dutzendweise im Angebot: je mehr Nuss (Nutella:
13 Prozent, andere auch 51 Prozent) und je weniger Palmöl, desto
teurer. Der Markt ist groß genug. Der italienische Gastro-Experte
Alberto Grandi meint: «Gerade die vielen Kopien sichern oder
vergrößern noch den Ruf des Originals.» Nutella sei zwar ein
klassisches Industrieprodukt, aber bis heute verknüpft mit der
Vorstellung von Genuss und italienischer Lebenskunst.

Ferrero behauptet nach einigen Jahren mit viel Kritik, nur noch
Palmöl aus zertifiziert nachhaltiger Herstellung zu verwenden. Von
Umweltschützern kommen aber weiterhin Vorwürfe - auch, weil in
Italien ganze Landstriche durch Haselnuss-Monokulturen veröden. Nach
Schätzungen wird heutzutage etwa ein Viertel der weltweiten
Haselnuss-Produktion für Nutella verwendet. Ernährungsberater
wiederum verweisen darauf, dass ein 400-Gramm-Glas 72 Stück
Würfelzucker enthält. Gesund ist anders.

Originalrezept wird geheim gehalten

Über die genaue Zusammensetzung des Originals schweigt sich der
Konzern seit jeher aus. Im Internet gibt es inzwischen aber auch in
großer Menge Rezepte zur Herstellung in Eigenproduktion («Crema alle
nocciole - beste Nuss-Nougat-Crème der Welt»), auch in veganen
Varianten, zum Beispiel mit Ahornsirup, Mandelmilch oder Kokosöl.
Fachleute raten eher davon ab, weil die Haselnussstücke in der
eigenen Küche nicht ausreichend zerkleinert werden können, die Masse
dann zu warm wird und das Öl verbrennt.

In Deutschland gehört Nutella zu den bekanntesten Markennamen
überhaupt. Längst hat es Eingang in die Alltagssprache gefunden - so
wie Tempo für Papiertaschentücher. Im Fußball wurden eine Zeit lang
Jung-Nationalspieler Nutella-Boys genannt, was auch damit
zusammenhing, dass vor wichtigen Turnieren früher Sammelgläser mit
prominenten Spielern herauskamen. Mats Hummels oder Manuel Neuer in
jüngeren Jahren stehen heute noch mancherorts im Küchenschrank.

Woher kommt der Name «Nutella-Bande»?

In Hamburg gab es früher sogar einen Zuhälterring, der Nutella-Bande
genannt wurde. Hauptsächlich wurde dies damit erklärt, dass sich die
ältere Konkurrenz über die Jungluden lustig machen wollte, die erst
einmal groß und stark werden sollten. Andere leiteten den Namen davon
ab, dass zwei prominente Mitglieder der Bande Schwarze waren. Genau
geklärt wurde das nie. Blieben zwei letzte Fragen: Wie heißt das
eigentlich - die, der oder das Nutella? Das hat der Duden
entschieden. Erlaubt ist alles. Und dann noch die Geschichte mit dem
Kühlschrank: drinnen oder draußen?