Pro Asyl: Asylbewerbergesetz wirkt bei Gesundheitsversorgung fatal Interview: Sebastian Kunigkeit, dpa

Asylbewerber haben nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzen einen
Anspruch auf medizinische Behandlung. Aus Sicht von Pro Asyl eine
gefährliche Regelung.

Frankfurt (dpa) - Im Frühjahr wurden Mitarbeiter eines bayerischen
Aufnahmelagers für Asylbewerber zu Geldstrafen verurteilt, weil sie
einem schwer kranken Flüchtlingskind nicht geholfen hatten. Der
Vize-Geschäftsführer von Pro Asyl, Bernd Mesovic, kritisiert, das
Asylrecht setze bei der Gesundheitsversorgung ein fatales Zeichen. Er
fordert im dpa-Interview Versichertenkarten für Asylbewerber.

Frage: Wird Asylbewerbern häufiger die Behandlung verweigert, oder
handelt es sich um extreme Einzelfälle?

Antwort: Uns sind eine ganze Reihe von Fällen bekanntgeworden, wo es
auf den letzten Metern gerade noch gut gegangen ist. Dann gibt es
Fälle, wo durch die Verweigerung von Behandlungen oder Probleme beim
Zugang zur Krankenhilfe Menschen zu Schaden gekommen sind. Diese
Extremfälle der Verweigerung bis hin zu Todesfällen zeigen, dass
der Geist des Asylbewerberleistungsgesetzes in ganz fataler Weise
wirkt.

Frage: Nun sieht das Gesetz aber doch die medizinische Versorgung von
Asylsuchenden vor?

Antwort: Das scheitert an einem offensichtlich unklaren Wortlaut des
Gesetzes. Es gibt nur einen Anspruch auf die Behandlung akuter
Erkrankungen und Schmerzen. Das ist schon schwierig: Wann ist eine
Krankheit akut? Und ist es nicht ein Problem, wenn eine Krankheit
chronisch wird und dann viel schwerer zu behandeln ist? In diesem
Gestrüpp des Wortlauts spielen sich viele der Probleme ab. Deshalb
maßen sich zum Beispiel Wachleute, die medizinisch gar nicht
kompetent sind, die Entscheidung an, ob man überhaupt einen
Krankenwagen holen muss.

Frage: Also aus Ihrer Sicht liegt das Problem im System?

Antwort: Das Asylbewerberleistungsgesetz setzt ein falsches Zeichen,
dass es für Flüchtlinge jedenfalls ein Weniger an medizinischer
Behandlung geben soll. Und das bringt einige inkompetente Menschen
offensichtlich zu der Interpretation, dass man da sogar Lebensgefahr
hinnehmen muss. Das ist unterlassene Hilfeleistung.

Frage: Wie läuft es ab, wenn ein Asylbewerber zum Arzt muss?

Antwort: Wenn die Leute krank sind, befinden sie sich in einer
absurden Vorprüfungssituation. Sie müssen sich in das zuständige Am
t
begeben, oft in der Kreisstadt, um einen Krankenschein zu bekommen.
Gelegentlich gibt es Versuche, ihnen den einfach nicht zu geben.
Insbesondere bei psychischen Erkrankungen, unter denen Flüchtlinge
besonders oft leiden, wird eine Behandlung regelmäßig verweigert. In
jedem Fall kommt es zu Verzögerungen. Unsere Forderung ist, den
Asylbewerbern Versicherungskarten auszugeben, so dass sie einfach zum
Arzt gehen können. Das ist in Bremen übrigens so geregelt - hat sich
bewährt und auch nicht zu Mehrkosten geführt. Alternativ sollte man
Krankenscheine wenigstens quartalsweise ausstellen.

Frage: Aber hieße die Ausgabe von Versichertenkarten denn nicht, die
Kosten auf die Krankenversicherten umzuwälzen? Und wie kann es nicht
teurer sein, wenn ein höherer Anspruch besteht?

Antwort: Die Erfahrungen mit den Bremer Krankenkarten zeigen, dass es
nicht per se mit Mehrkosten verbunden ist. Wir würden es begrüßen,
wenn Asylbewerber ins normale System eingegliedert würden. Aber eine
Versichertenkarte könnten Sie auch auf einer anderen Basis
ausstellen. Wenn sich momentan um Fragen wie «Schmerzbehandlung nötig
oder nicht?» gestritten wird, kann mit viel Energie und Unterstützung
oft der Behandlungsanspruch durchgesetzt werden. Aber es ist ein
zeitaufwendiges und damit riskantes System.

Frage: Wie gehen die Ärzte im Alltag mit dieser Situation um?

Antwort: Ein Teil der Ärzte, die nicht so häufig dieses Publikum hat,
ist verunsichert, zumal Krankenscheine sehr oft missverständliche
Kennzeichen zum Behandlungsumfang enthalten. Aber ich habe den
Eindruck, viele Ärzte sind hier sehr engagiert. Und die meisten
Ärzteorganisationen sind mit uns der Meinung: Das Gesetz sollte
ersatzlos entfallen.

ZUR PERSON: Bernd Mesovic (60) begann 1980, sich als
Flüchtlingsberater für Asylsuchende zu engagieren. Heute ist er
stellvertretender Geschäftsführer von Pro Asyl in Frankfurt und
Experte für das Asylrecht in Deutschland.