Oktoberfest auf der Notaufnahme Von Sophie Anfang, dpa

Platzwunden, gebrochene Nasen, Alkoholvergiftungen: Für die Münchner
Kliniken bedeutet Oktoberfest vor allem eins - Mehrarbeit. Ein
nächtlicher Besuch in der Notaufnahme.

München (dpa) - An seinem Bein klafft ein offener Bruch, doch den
alten Mann scheint nur eins zu interessieren: Alkohol. «Gibt's hier
noch irgendwo Weißbier?», fragt er, als seine Liege in die
chirurgische Notaufnahme geschoben wird. Bier gibt es nicht in der
Universitätsklinik, dafür eine Girlande mit Brezn und Bierkrügen aus

Papier. Die Ärzte haben sich eingestellt auf die Patienten vom
Oktoberfest. An einem Samstagabend wie diesem kommen besonders viele
- die Klinik ist nur einen Kilometer von der Festwiese entfernt.

Wenn auf der Wiesn die Menschenmassen feiern, haben die Münchner
Kliniken alle Hände voll zu tun: Platzwunden, Brüche, blutende Nasen
- alle zehn bis zwanzig Minuten bringt der Sanitätsdienst einen neuen
Patienten. Der Mann nach der Wiesn-Schlägerei ist an diesem Samstag
um 23.00 Uhr die Haupt-Klientel in der Chirurgischen Klinik an der
Nußbaumstraße. Ein paar Meter weiter in der internistischen
Notaufnahme sind es die Betrunkenen: Etwa das rothaarige Mädchen
Mitte 20, das nach drei Maß wie ein Sack Mehl auf die Liege gehievt
werden musste. Neben seinem Bett steht eine Plastiktüte. Inhalt: eine
Handtasche, die streng nach Erbrochenem riecht. Oder der 19-Jährige,
der zwar mit wenig Promille, aber dafür mit heftigen Bauchschmerzen
auf einer Liege liegt.

Vier Betten hat die internistische Notaufnahme, sechsmal pro Tag
wechseln die Patienten. Wenn viel los ist, werden die Betrunkenen auf
zwei Ausweichräume verlegt. In anderen Kliniken, etwa im
Rotkreuz-Klinikum sind diese ständig belegt. Dort liegen die
Matratzen sogar direkt auf dem Boden - damit die Betrunkenen nicht
vom Bett fallen und sich verletzen.

In der Innenstadt herrscht etwas weniger Andrang. «Letzten
Donnerstag haben wir die Räume zum letzten Mal gebraucht», sagt der
Leiter der Notaufnahme Markus Wörnle. Das Erstversorgungszelt auf der
Festwiese fängt viel ab. In die Klinik kommen nur die drastischen
Fälle. Mit Alkohol allein bringt sich kaum ein Patient in
Lebensgefahr. Sich mit Bier lebensgefährlich zu betrinken, sei
schwierig, sagt Wörnle. In der Notaufnahme müssten sie eher
aufpassen, dass bei den Patienten im Suff keine schwerere Erkrankung,
wie etwa ein Herzinfarkt, übersehen wird.

Am Empfang hängt eine handgeschriebene Liste mit den
Promille-Werten der Wiesn-Patienten. Die meisten liegen um die 2,5 -
weniger als die Spitzenwerte zu Nicht-Oktoberfest-Zeiten. «Der
normale Wiesn-Besucher ist mit zwei Promille ziemlich platt», sagt
Wörnle. Alkoholiker hätten meist deutlich über drei, wenn sie in die

Klinik kommen.

Betrunkene sind nicht gern gesehen bei der Belegschaft. Nicht nur,
weil sie sich oft übergeben und gerne mal in Schränke urinieren.
Sondern, weil sie Betten blockieren, die dann für echte Notfälle
fehlen. Kochsalz, Glukose und eine Spritze gegen die Übelkeit ist zur
Wiesn-Saison die Standardversorgung. Zwei Ärzte und vier Pfleger
kümmern sich darum - doppelt so viele, wie zu normalen Zeiten. Dazu
kommen sechs Sicherheitsleute, die die Pflegekräfte vor ungemütlichen
Patienten schützen. Vor allem auf der chirurgischen Station sei das
ein Problem sagt Flo, der seit drei Jahren für den Sicherheitsdienst
des Klinikums arbeitet und seinen Nachnamen nicht nennen will: «Die
Leute sind dort aggressiver, weil sie schon einen auf den Deckel
gekriegt haben.»

Auf der internistischen Notaufnahme ist es vergleichsweise
friedlich. Inzwischen ist es Mitternacht, die Patienten haben
gewechselt. Auf Bett eins schnarcht ein braun gebrannter
Schnurrbartträger im Trachtenjanker. Zwei Betten weiter lamentiert
eine Diabetes-Patientin im rosa Dirndl. Ihr Mann redet ihr zu: «Geh
Hasi, jetzt stell di ned so an. Mir san hier ja ned im
Kasperltheater.» In der Tat haben die Schwestern wenig zu lachen.
Ihre Nacht ist noch lang: Die letzte Wiesn-Patientin kommt erst um
6.30 Uhr in der Früh.