Neue Therapie hilft - Julias Schmerzen sind beherrschbar Von Wolfgang Dahlmann, dpa

Julias Schmerzen waren zu groß für die Schule. Medikamente halfen bei
ihren chronischen Gelenkbeschwerden nicht. Nach mehreren
Krankenhausaufenthalten kommt sie zum Deutschen Kinderschmerzzentrum
in Datteln. Von da an wird es besser.

Datteln (dpa) - Seit vielen Jahren plagen die 17-jährige Julia
chronische Gelenkschmerzen. Sie musste vom Gymnasium auf die
Realschule wechseln. Zwei Jahre ging sie gar nicht zur Schule, quälte
sich auf Gehstützen durch den Tag. Die Wende kam, als ihr ein Arzt
das Buch «Rote Karte für den Schmerz» empfahl. Die Autoren Michael
Dobe und Boris Zernikow von der Kinder- und Jugendklinik in Datteln
(Nordrhein-Westfalen) halten Schmerzmittel, mit denen die Kinder
meist jahrelang vollgepumpt würden und die kaum Wirkung zeigten, für
nahezu überflüssig.

Julia liest das Buch und setzt seitdem auf diesen Weg. Sie fährt
regelmäßig vom hessischen Korbach ins Ruhrgebiet, denn in Deutschland
gibt es nur wenige Kinderschmerzzentren. Die Spezialisten in Datteln
arbeiten an Methoden, um Patienten und Eltern einen neuen Umgang mit
den Schmerzen beizubringen - und haben Erfolg. «Das Wichtigste ist,
dass man begreift, dass chronische Schmerzen eine Krankheit sind»,
sagt Zernikow. Betroffene und Ärzte reagierten darauf oft genauso wie
auf akute Schmerzen: mit Medikamenten und Ruhe. «Bei chronischen
Schmerzen führt das meist dazu, dass es nicht besser wird, sondern
eher schlechter.»

Zum ersten Mal kam Julia im Oktober 2011 nach Datteln. Die frühere
Leichtathletin legte die Krücken beiseite und begann mit Gehübungen.
Die Therapeuten erklärten ihr, wie man sich ablenkt und die Schmerzen
als Begleiterscheinung akzeptiert. Den Eltern wurde beigebracht,
nicht übertrieben Rücksicht zu nehmen und schon gar nicht nach den
Schmerzen zu fragen.

Julia ist inzwischen zum dritten Mal für drei Wochen im Zentrum.
«Die Schmerzen sind noch da. Aber ich kann anders oder besser mit
ihnen umgehen», sagt sie. «Ich gehe auch nicht davon aus, dass sie
ganz weggehen.» Inzwischen kann sie wieder zur Schule gehen. Nach
einer Zwischenphase auf einer Schule für Körperbehinderte besucht sie
jetzt die Realschule und will danach wieder aufs Gymnasium.

Ganz ohne Hilfsmittel geht es aber nicht. Julia benutzt ein
Laptop, weil ihre Finger beim längeren Schreiben anschwellen und
schmerzen. Bei Klassenarbeiten hilft ein Tens-Gerät, das Impulse an
die Nervenenden sendet und die Schmerzen lindert. «Trotzdem stören
die Schmerzen auch beim Lieblingsfach Mathe manchmal die
Konzentration», sagt sie. Medikamente nimmt sie trotzdem nicht
gleich. «Eine Tablette in der Woche darf ich nehmen, wenn ich will.»

Auch in Datteln sind Medikamente nicht ausgeschlossen, besonders
wenn es beim Kopfschmerz neben dem chronischen Schmerz echte
Migräneattacken gibt. Die Therapie fängt mit der Aufklärung über di
e
Erkrankung an, danach folgt das Training von Strategien zur
Schmerzbewältigung, meist durch Ablenkung. Im dritten Schritt müssen
häufig Ängste abgebaut werden, zum Beispiel vor Klassenarbeiten,
Mitschülern oder überhaupt der Schule.

Das können auch depressive Störungen sein; im Zentrum arbeiten
daher auch Kinderpsychologen. Danach folgt eine Familientherapie. Vor
allem die Eltern müssen im Umgang mit dem kranken Kind geschult
werden. Am Ende arbeiten die Kinder darauf hin, in ihrer eigenen
Umgebung zurechtzukommen. Die langfristige Wirkung der Therapie wird
in Nachbetreuungen und Studien kontrolliert.

Auch Daniela leidet unter chronischen Gelenkschmerzen, bei ihr
haben Medikamente ebenfalls nicht geholfen. Nach ersten Gesprächen
im Schmerzzentrum hat sie zu Hause wieder begonnen, sich mehr zu
bewegen. Erst Spazierengehen, dann mit dem Hund raus und dann
Schulsport. «Das war aber dann zu viel», sagt die Gymnasiastin.

In den Sommerferien kam Daniela für drei Wochen nach Datteln.
«Die Therapeutin hat mir genau erklärt, wie die Schmerzen zustande
kommen und was zu tun ist. Ich habe Techniken gelernt, wie ich von
den Schmerzen abgelenkt werde.» Dazu kamen Kunst- und Musiktherapie
sowie Psychomotorik. Eine besondere Übung war das Ballspielen zu
zweit. «Da konnte man sich seine Emotionen aus dem Leib schreien.»
Inzwischen ist Daniela wieder zu Hause. «Die Schmerzen sind weniger
geworden», sagt sie. «Aber ich bin noch am Anfang.»