Merkel im Dialog mit Bürgern - auch wenn es «ganz dicke kommt» Von Kristina Dunz, dpa

Angela Merkel will von Bürgern direkt wissen, was für sie die
drängendsten Probleme sind. Mit 20 Ausgewählten berät sie sich zwei
Stunden im Kanzleramt. Die Themen reichen von Hilfen für Kinderlose
bis zur Abschaffung der GEZ-Gebühr. Die Eurokrise gehört nicht dazu.

Berlin (dpa) - Die Frau mit den leicht gewellten Haaren sitzt ganz
dicht bei der Kanzlerin. Öffentlich möchte sie sich nur Beate T.
nennen. Im ersten Moment wirkt sie schüchtern hier im Bankett-Saal
des Kanzleramtes mit Blick durch die riesigen Fenster bis zum
Reichstagsgebäude und Potsdamer Platz. Doch als sie ihr Anliegen
vorträgt, spricht sie klar und selbstbewusst. Sie verlangt mehr
finanzielle Unterstützung für die Behandlung von Eltern, die sich
sehnlichst Kinder wünschen und keine bekommen können. Sie beklagt,
wenn sich nur Reiche fortpflanzen dürfen, sei das Selektion.

Beate T. ist eine von 20 Bürgern, die Angela Merkel am Dienstag
zum Gespräch eingeladen hat. Sie wurden ausgewählt, weil ihre
Vorschläge für ein besseres Leben in Deutschland bei dem von der
Kanzlerin im Frühjahr gestarteten Bürgerdialog entweder die meisten
Stimmen im Internet bekommen haben oder von Experten und
Kanzleramtsmitarbeitern ausgesucht wurden. Die Gesprächsrunde ist
eine ganz andere Art der Politik für Merkel - zwischendurch werden
einige der 120 Minuten auch eine Herausforderung für die Kanzlerin.

Weit oben auf der Internet-Hitliste steht die Forderung von Martin
Thomas: «Offene Diskussion über den Islam.» Er sagt, das Thema werde

von Politik und Medien gründlich gemieden, Islamkritiker würden
bestenfalls ignoriert, meistens aber diffamiert. Es gehört zu den
heikelsten Themen in dieser Runde. Merkel ist gewappnet und will eine
Klarstellung: «Wollen Sie eine offene Diskussion oder sind Sie ein
Islamkritiker?» Thomas antwortet: «Ich bin ein ganz kleines Licht.»
Er sagt nur, seine Wahrnehmung des Islam sei «zwiespältig».

Während die Kanzlerin mit eher unsicheren Menschen oft Nachsicht
hat und ihnen Brücken für ihre Argumentation baut, geht sie mit
dominanten Gesprächspartnern nicht zimperlich um. «Die Islamkritik
als solche sprengt hier die Rahmen», gibt sie Thomas zu verstehen. Es
stimme auch nicht, dass eine offene Debatte über den Islam abgewehrt
werde. Sie verweist auf die Islam-Konferenz der Regierung. Merkel
würdigt aber, dass es Gesprächsbedarf über den Islam gebe, wie das
hohe Votum im Internet zeige.

Sie zeigt sich aber bereit, über einen zusätzlichen
Ansprechpartner zu sprechen. So findet sie bei nahezu allen der 20
Teilnehmer versöhnliche und motivierende Worte, dass ihr Anliegen
weiterverfolgt werde oder sie darüber noch einmal «intensiv
nachdenke». So auch bei den Forderungen nach einem «Gesetz gegen die
Leugnung des Völkermordes an den Armeniern und Aramäern», doppelter
Staatsbürgerschaft, einem gesetzlichen Verbot von sexuellem
Missbrauch von Tieren und einem bedingungslosen Grundeinkommen.

Sie versucht sogar Georg Wurth, der Cannabis legalisiert sehen
will, Mut zu machen. «Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich
meine Meinung ändere...» - Wurth unterbricht sie und sagt: «Davon
gehe ich aus». Merkel fährt fort «...aber ich öffne mich dem Thema

noch einmal insoweit, dass ich mich damit noch einmal intensiver
beschäftige.» Gleich zu Beginn stellte sie aber klar: «Dann muss ich

schauen, wie ich gegebenenfalls Regierungshandeln daraus machen
kann.» Bei mehreren der Forderungen vermutlich nicht.

Ganz sicher wird sie aber den Vorschlag von Julio Cesar Cerinza
Escobar nicht weiterverfolgen. «Jetzt kommt es ganz dicke», leitet
sie zu ihm über. Er fordert, die GEZ-Gebühren abzuschaffen. «Ich
stehe zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk.» Er sei eine wichtige
Säule des Informations- und Medienangebots.

Der Hebamme Nitya Runte sichert die Kanzlerin hingegen konkret ein
Gespräch mit fünf ihrer Kolleginnen und dem Familien- und dem
Gesundheitsministerium über die Verbesserung ihrer finanziellen
Situation zu. Runte fragt, ob das ein Versprechen sei. Merkel
verspricht es und sagt: «Ich weiß, dass ich mich um Kopf und Kragen
bringe, wenn ich etwas verspreche und nicht halte.»