Selbstmordwelle in Italien und Griechenland - Zeichen der Krise Von Takis Tsafos und Hanns-Jochen Kaffsack, dpa

Die seit Jahren herrschende Wachstums- und Schuldenkrise lastet in
südeuropäischen Ländern so schwer, dass sich immer mehr Verzweifelte

das Leben nehmen. Vor allem in Italien und Griechenland wissen kleine
Unternehmer, Handwerker, Arbeitslose und Rentner oft keinen Ausweg.

Rom/Athen (dpa) - Seit Monaten arbeitslos, nimmt sich der
56-jährige Maurer und Vater von vier Kindern bei Neapel mit einem
Stromkabel das Leben. Mit einem Pistolenschuss bereitet ein kleiner
Bauunternehmer aus dem sardischen Nuoro seiner Misere ein Ende - er
hatte selbst seine Söhne entlassen müssen. Kaum ein Tag vergeht in
Italien, an dem die Medien nicht über weitere Selbstmorde berichten,
die eine seit Jahren verschärfte Schulden- und Wachstumskrise zum
Hintergrund haben.

Vor allem auch Kleinunternehmer im wirtschaftlich doch starken
Norden der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone sehen oftmals
keinen Ausweg mehr. Wie Italien geht es Griechenland - die Suizide
nahmen in den vergangenen Jahren teilweise dramatisch zu.

Genaue Selbstmordstatistiken, die mehr Aufschlüsse über die Gründe

für die Verzweiflungstaten erlauben, gibt es in beiden Krisenländern
nicht. Aber selbst wenn keine Abschiedsbriefe dies erklären, so wird
doch deutlich, dass die erhöhte Zahl von Selbstmorden in den letzten
drei Jahren - von etwa 20 Prozent Zunahme ist in beiden Ländern die
Rede - ein Barometer für die Krise ist.

Unternehmer müssen auf die Zahlungen der verschuldeten
öffentlichen Verwaltung für ihre Dienstleistungen und Waren warten.
Sie können so ihre Kredite nicht mehr bedienen. In Italien stehen die
zahllosen Steuerschuldner unter dem massivem Druck der Regierung, die
Geld in die Kassen bringen muss. Die Abgabenlast hat sich stark
erhöht, Arbeitslosigkeit grassiert in der Rezession.

Italiens Steuerzahlerbund Federcontribuenti schaltete inzwischen
wegen dieses «sozialen Massakers» die Staatsanwaltschaft in Rom ein:
Dutzende Fälle von Selbstmorden seit dem Jahresbeginn müssten auf
ihre sozialen Gründe untersucht und die Verantwortlichen ermittelt
werden; in der ligurischen Metropole Genua allein seien in den
vergangenen vier Monaten fünf Prozent mehr Selbsttötungen registriert
worden als ein Jahr zuvor.

Der Vereinschef Carmelo Finocchiaro wirft der
Technokratenregierung von Mario Monti vor, «in diesen Monaten nur
neue Steuern und sonst nichts eingeführt zu haben». Die Finanzpolizei
(Guardia di Finanza) unterscheide vor allem auch nicht zwischen den
Steuerhinterziehern und jenen, die einfach nicht mehr zahlen könnten.

Während der Wirtschaftsprofessor und ehemalige EU-Kommissar Monti
von Europa Wachstumsspritzen verlangt, um aus dem Rezessionstal zu
kommen, regen sich Widerstand und auch die Solidarität der Italiener.
Tausende demonstrierten kürzlich in Rom mit einem Fackelzug für eine
Unterstützung der Handwerker und Kleinunternehmer, die durch die seit
Jahren andauernde Krise in ihrer Existenz bedrängt seien.

Der Bischof von Padua in Venetien, Antonio Mattiazzo, richtete
einen Fonds ein, der besonders unter Finanznöten leidenden Menschen
helfen soll. Dort haben Familienangehörige von Unternehmern, die sich
umgebracht haben, einen Hilfsverein gegründet: Keiner soll sich mehr
- wie Ende März ein Unternehmer vor dem Finanzamt in Bologna - selbst
verbrennen müssen.

Auch in Griechenland sollen sich seit Ausbruch der schweren
Finanzkrise 2009 wesentlich mehr verzweifelte Menschen das Leben
genommen haben. «Aus Daten, die uns vorliegen, ist die Zahl der
Suizide in den letzten drei Jahren schätzungsweise um etwa 20 Prozent
gestiegen», sagt der Psychiater Vassilis Kontaxakis. Man könne jedoch
nicht klar definieren, inwiefern allein die Finanzkrise dafür
verantwortlich sei. Athens Gesundheitsminister Andreas Loverdos
sprach vor einigen Wochen sogar von 40 Prozent mehr Selbsttötungen.

Dabei verzeichnete Griechenland vor der Krise eine der niedrigsten
Selbstmordraten weltweit. Der Chef der konservativen Partei Nea
Dimokratia (ND), Antonis Samaras, meinte, seine Landsleute litten an
einer «nationalen Depression». Mit wirtschaftlich-sozialen Gründen:
Die Einkommen schrumpften in drei Jahren um etwa ein Fünftel. Und die
Arbeitslosigkeit kletterte auf Rekordwerte um nahezu 22 Prozent.

In Italien sind es fast 10 Prozent - mit dramatischen 36 Prozent
in der jungen Generation. In beiden südeuropäischen Schuldenländern
sind politische Rezepte gefragt, die Wachstum und Arbeitsplätze
schaffen - also nicht nur die Steuerschraube anziehen und Spardiktate
erlassen.

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