Physik-Nobelpreis für «Wundermaterial» Graphen Von Simone Humml, dpa

Es ist das dünnste und stabilste Material der Welt. Zugleich leitet
es hervorragend Strom und Hitze. Die Eigenschaften von Graphen
erschienen zunächst unglaublich. Nun erhalten zwei Physiker für die
Entdeckung die höchste Auszeichnung ihres Fachs.

Stockholm (dpa) - Der Nobelpreis für Physik geht in diesem Jahr an
die Entdecker des «Wundermaterials» Graphen. Der Niederländer Andre
Geim (51) und der britisch-russische Forscher Konstantin Novoselov
(36) teilen sich die höchste Auszeichnung für Physiker. Das gab die
Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Dienstag in
Stockholm bekannt.

Graphen ist ähnlich aufgebaut wie eine Graphitmine im Bleistift -
nur sehr viel dünner. Die Preisträger stellten mit einem simplen
Klebestreifen aus Graphit den Stoff Graphen her. Noch gibt es keine
Anwendung. Das Super-Material könnte aber einmal für durchsichtige
Touchscreens, schnellere Computer oder Solarzellen genutzt werden.

«Als der Anruf (vom Nobel-Komitee) kam, dachte ich nur: Oh Shit,
wie aufregend», berichtete Geim nach der Zuerkennung. «Aber dann
dachte ich mir, jetzt werde ich all die anderen schönen Preise nicht
mehr bekommen.» Andererseits sei der Nobelpreis, auf den er sehr
stolz sei, gut für das Einkommen. «Mein Plan für heute ist, zur
Arbeit zu gehen und ein paar Aufsätze fertig zu machen.» Der
Nobelpreis ist mit umgerechnet rund einer Million Euro (10 Millionen
Schwedischen Kronen) dotiert.

   Graphen besteht aus nur einer Lage von Kohlenstoffatomen. Ein
Millimeter Graphit enthält drei Millionen Schichten Graphen. Geim und
Novoselov haben entdeckt, dass Kohlenstoff in dieser dünnen Form
außergewöhnliche Eigenschaften hat, die aus der Quantenphysik
herrühren, heißt es in der Preisbegründung.  

   «Wir wissen noch nicht, wofür Graphen wirklich anwendbar ist.
Aber
ich hoffe, dass es genauso unser Leben verändern kann wie Plastik»,
sagte Geim dem Nobel-Komitee am Telefon. Graphen besteht aus einem
Gitter von Kohlenstoffatomen und ist nicht nur der dünnste bekannte,
sondern auch der stabilste Stoff. Es leitet hervorragend Strom und
Hitze. Das Material ist fast durchsichtig und zugleich so dicht, dass
nicht einmal das kleinste Gasatom, Helium, hindurchpasst.
«Kohlenstoff, die Basis allen Lebens auf der Erde, hat uns erneut
überrascht», schreibt die Nobeljury.

Novoselov und sein Doktorvater Geim sind beide in der Sowjetunion
geboren und arbeiten derzeit an der britischen Universität
Manchester. Der Vizepräsident der russischen Akademie der
Wissenschaften, Gennadi Mesjaz, reagierte auf die Entscheidung der
Nobeljury mit den Worten: «Ich bin entzückt. Das russische Genie kann
sich auch in Manchester durchsetzen.»

Nach Angaben der Jury ist Novoselov der jüngste Physik-Preisträger
seit 1973. «Mit ihm kann man sitzen und ein Bier trinken und sich
nett unterhalten - über Physik, aber auch andere Sachen», sagte der
Physiker Prof. Christian Thomsen von der Technischen Universität
Berlin. «Novoselov ist kunstinteressiert, reist viel, ist natürlich
auch ein harter Arbeiter.» Anwendungen für Graphen in der «realen
Welt» gebe es noch nicht. «Solche Entdeckungen brauchen immer einige
Jahre, bis sie ihren Eingang in Geräte finden.»

Es sei sehr leicht, Graphen herzustellen, sagte Thomson: Einfach
einen Klebestreifen auf Graphit geklebt und abgezogen. «Wenn man das
geschickt macht - und das gelingt jedem nach einer Stunde probieren -
dann kommen diese Monolagen, diese einzelnen Graphenschichten
zustande.» Die Schichten bekomme man wieder vom Klebestreifen ab,
indem man ihn vorsichtig auf eine Glasfläche drücke, erläutert
Thomson und ergänzt: «Das ist das, was ich genial finde: Wenn Sachen
passieren, von denen man hinterher sagt, da hätte ich auch drauf
kommen können. Der Punkt ist nur, dass ich nicht drauf gekommen bin.»

   Geim hatte bereits im Jahr 2000 zusammen mit dem Briten Michael
Berry den Ig-Nobelpreis erhalten, mit dem skurrile Forschungen geehrt
werden. Der Name ist ein Wortspiel mit dem englischen Ausdruck
«ignoble» (schändlich, lächerlich). Sie hatten damals einen lebende
n
Frosch in einem starken Magnetfeld schweben lassen.

Am Montag war der Medizin-Nobelpreis dem Briten Robert Edwards für
die Entwicklung der Reagenzglas-Befruchtung zugesprochen worden.
Damit war bis Dienstag noch kein US-Forscher unter den diesjährigen
Preisträgern. Am Mittwoch werden die Träger des Chemie-Nobelpreises
benannt. Die Überreichung der Auszeichnungen findet traditionsgemäß
am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel.

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## Internet
- [Physik-Nobelpreisträger 2010](http://dpaq.de/omst8)
- [Homepage Geim] (http://dpaq.de/DrcRZ)
- [Homepage Novoselov] (http://dpaq.de/rEPD6)

## Orte
- [Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften](Lilla
Frescativägen 4A, Stockholm, Schweden)