«Super-Bakterium» auch in Deutschland Von Peter Astashenko und Simone Humml, dpa

Der weltweite Kampf zwischen Bakterien und Menschen geht in eine
neue Runde. Neue Keime sind sogar gegen bestimmte Notfall-Antibiotika
resistent geworden - und sie verbreiten sich über die ganze Welt.

Washington/London/Berlin (dpa) - Es ist ein Punktsieg der
Bakterien gegen die Medizin: In Südostasien, Großbritannien, den USA
und auch in Deutschland haben Forscher Bakterien mit einem neuen
Resistenz-Gen entdeckt. In Belgien ist sogar schon ein Mensch daran
gestorben. Fast kein Antibiotikum kann den mutierten Bakterien etwas
anhaben, die ein Gen für das Enzym NDM-1 enthalten.

«Auch in Deutschland haben wir erste, bisher einzelne Nachweise
für NDM-1 bildende Bakterien», berichtet das Robert Koch-Institut
(RKI). Es verweist jedoch darauf, dass es im begrenzten Umfang noch
Therapeutika wie die Antibiotika Tigezyklin und Colistin gibt.

Zumindest in Großbritannien wurden die mutierten Erreger
vermutlich von Medizintouristen eingeschleppt, die sich in Indien und
Pakistan aus medizinischen oder rein kosmetischen Gründen operieren
ließen. In Asien scheinen sie weiter verbreitet zu sein.

NDM-1 steht für Neu-Delhi-Metallo-Beta-Laktamase. Sie kann sogar
Antibiotika knacken, die bisher oft als letzte Rettung galten. Das
Gen dafür wurde bisher bei zwei verschiedenen Bakterienstämmen
ausfindig gemacht. Die Bakterien mit dem neuen Gen sind resistent
gegen Carbapeneme, das sind Reserveantibiotika, die nur bei schweren,
sonst unbehandelbaren Infektionen eingesetzt werden.

Ein internationales Team um Karthikeyan Kumarasamy von der
Universität von Madras in Indien hat bei Patienten mehrerer Kliniken
nach dem Keim geforscht. Die Wissenschaftler berichten von 37
betroffenen Patienten in Großbritannien und insgesamt rund 140
Patienten in Bangladesch, Indien und Pakistan. Sie präsentieren die
Studie im aktuellen Journal «The Lancet Infectious Diseases».

Die Keime können ihr neues NDM-1-Gen schnell weitergeben: Es liegt
unter anderem auf kleinen Gen-Ringen der Bakterien, den Plasmiden,
die besonders leicht zwischen verschiedenen Bakterienstämmen
ausgetauscht werden.

Johann Pitout von der University of Calgary in Kanada forderte,
alle Menschen, die von einer Operation aus Indien zurückkehren, vor
einer weiteren Behandlung auf multiresistente Erreger untersuchen zu
lassen. Wenn diese aufkommende Gefahr ignoriert werde, könnten die
Kosten für die Gesundheitssysteme drastisch steigen, schreibt er in
einem «Lancet»-Kommentar.

Das indische Gesundheitsministerium hingegen wehrt sich gegen den
Vorwurf, dass eine Behandlung in dem Land nicht sicher wäre. Eine
Mutation von Bakterien sei nichts Ungewöhnliches. «In jedem Moment
gibt es vermutlich Milliarden solcher Ereignisse», zitiert der US-
Nachrichtensender CNN eine Stellungnahme des Ministeriums. Solche
Organismen würden sich durch Reisen weltweit verbreiten. Deshalb zu
sagen, Indien sei kein sicherer Ort für Reisen und medizinische
Behandlung, wäre falsch, erklärt das Ministerium. Zudem sei der Name
«Neu Delhi» im Zusammenhang mit dem Gen unglücklich gewählt.

Das RKI jedenfalls sieht Deutschland gewappnet: Es verweist auf
sein Frühwarnsystem ARS, das neuartige Antibiotikaresistenzen
erfasse. Die weitere Verbreitung solcher Erreger könne dann durch
gezielte Hygiene in den Kliniken und eine abgestimmte
Antibiotikatherapie «wirksam begrenzt und verhindert werden».

Eine solche Vorsorge sei auch nötig, denn die Entwicklung neuer
Antibiotika gegen die nun aufgetretenen Bakterien werde mindestens
zehn Jahre dauern, schreibt die Europäische Gesellschaft für
klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten (ESCMID).

# dpa-Notizblock

## Internet
- [RKI zu NDM-1](http://dpaq.de/Tdbdi)
- [Beobachtungssystem des RKI](https://ars.rki.de/)
- [CNN](http://dpaq.de/EPmuY)
- [ESCMID-Mitteilung](http://dpaq.de/IgnoY)

## Service
- Fachartikelnummer Lancet: DOI 10.1016/S1473-3099(10)70143-2