«Zunehmend lebensbedrohlich»: Ehepaar nach Tod von Tochter vor Gericht

Eine 39 Jahre alte Frau stirbt schwer krank - hat fahrlässiges
Handeln ihrer Familie dazu beigetragen? Das soll ein Prozess klären.

Landau (dpa/lrs) - Weil sie für ihre 39-jährige, schwer erkrankte
Tochter keine ärztliche Hilfe geholt haben, müssen sich Vater und
Stiefmutter seit Montag vor dem Landgericht im pfälzischen Landau
verantworten. Den beiden Angeklagten wird unter anderem fahrlässige
Tötung durch Unterlassen vorgeworfen. Ein Sachverständiger sagte zum
Prozessauftakt mit Verweis auf den Obduktionsbericht, die Frau sei
zum Todeszeitpunkt im Februar 2022 in Vollmersweiler (Kreis
Germersheim) ausgezehrt und abgemagert gewesen. «Am Tag vorher hätte
ein Arzt vermutlich noch helfen können, am Sterbetag möglicherweise
noch.»

Angeklagte machen keine Angaben

Bei der Obduktion wurden demnach eine Oberschenkel- und
Venenthrombose sowie eine Lungenembolie, eine eitrige Bronchitis und
Flüssigkeitsmangel festgestellt. Die Frau wog zum Todeszeitpunkt etwa
45 Kilogramm bei einer Körpergröße von rund 1,60 Meter. «Sie hatte

keine Reserven mehr», sagte der Experte. «Man kann davon ausgehen,
dass man das zumindest am letzten Tag hätte erkennen können.»

Vater und Stiefmutter teilten durch ihre Verteidiger mit, keine
Angaben machen zu wollen. Dem 73 Jahre alten Landwirt und der gut 20
Jahre jüngeren Verkäuferin wird unter anderem im Tatzeitraum Dezember
2021 bis Februar 2022 fahrlässige Tötung durch Unterlassen
vorgeworfen. Der Vater wird zudem beschuldigt, seine psychisch und
körperlich kranke Tochter in ihrem Zimmer dreimal mit einem ledernen
Katzenhalsband und Spanngurten ans Bett gefesselt zu haben. Der
Vorwurf lautet auf Freiheitsberaubung.

Ein 57 Jahre alter Zeuge, der gelegentlich bei dem Angeklagten
gearbeitet hatte, sagte, er habe den Vater auf seine Tochter
angesprochen. Der Vater soll gesagt haben, der Tochter müsse «der
Teufel ausgetrieben werden». Auf die Krankheit der Tochter
angesprochen, habe der Vater gesagt: «Das wird wieder, das kriegen
wir allein hin.» Über Ärzte soll der Vater gemeint haben, diese seien

«gottlose Menschen». Der Angeklagte habe «kein Gewissen» und gehe
«über Leichen». Es sei nicht nachzuvollziehen, dass ein Vater die
Tochter anbinde.

Der Angeklagte, im hellen Hemd und Pullunder, verfolgte den Auftakt
ohne große äußerliche Regung. Gelegentlich schüttelte der kräftig

wirkende Mann den Kopf und verschränkte die Arme auf der Tischplatte.
Der gelernte Kfz-Mechaniker hatte den landwirtschaftlichen Betrieb
1990 übernommen. Seine zweite Frau, im hellen Pullover und knielangem
Rock, stützte den Kopf meist auf die rechte Hand. Auch sie wirkte
gefasst.

«Zustand zunehmend lebensbedrohlich»

Am ersten Prozesstag in Saal 309 waren auf einem Bildschirm mehrere
Fotos des Zimmers der Tochter und auch von der Auffindesituation des
Leichnams zu sehen. In dem kleinen, schlicht eingerichteten Raum im
ersten Stock lag die Tote in Rückenlage auf dem Bett. Unter anderem
wurden ältere Blutergüsse an Armen und Beinen festgestellt -
möglicherweise von festen Handgriffen, wie der Sachverständige
meinte. Ein Bruder des Angeklagten sowie eine weitere Tochter, die
beide als Zeugen geladen waren, wollten am Montag nicht aussagen.

Der Anklageschrift zufolge hätte dem Vater bewusst sein müssen, dass
er nicht berechtigt gewesen sei, seine Tochter so zu behandeln, hieß
es. Vater und Stiefmutter hätten sich zwar um die Frau gekümmert,
ihnen hätte aber bewusst sein müssen, dass sie sich in einem
zunehmend lebensbedrohlichen Zustand befinde.

Der Staatsanwaltschaft zufolge war es einige Monate vor dem Tod der
Frau zu «psychischen Auffälligkeiten» gekommen. Die Behörde geht
aufgrund der Ermittlungen davon aus, dass die Tochter keine ärztliche
Behandlung gewollt habe. Bis Juni sind weitere Termine vorgesehen.