Faeser hält erhebliche Investitionen in zivile Verteidigung für nötig Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa

Zivilschutz gilt als ein Thema, mit dem man keine Wahlen gewinnen
kann. Denn er kostet Geld und macht Angst - weil sich die Menschen
gedanklich mit dem Ernstfall auseinandersetzen müssen.

Berlin (dpa) - Nicht nur die Bundeswehr muss sich angesichts der
veränderten Bedrohungslage in Europa umorientieren - Deutschland muss
sich nach Ansicht von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auch
bei der zivilen Verteidigung ganz neu aufstellen. «Wir werden weitere
erhebliche Investitionen in gute Warnsysteme, in moderne Hubschrauber
und weitere Ausstattung vornehmen müssen», sagte die Ministerin der
Deutschen Presse-Agentur. Das Gleiche gelte für den effektiven Schutz
kritischer Infrastruktur und die Versorgung für Krisenfälle. Konkrete
Zahlen nennt sie nicht. Doch Fachleute sagen: «Es geht hier um
Milliarden.» 

Ein Satz, der in Zeiten mit schwieriger Haushaltslage nicht gut
ankommt, wobei ein Teil der Ausgaben in der Verantwortung der Länder
liegt, da etwa die Trinkwassernotversorgung nicht nur für den
Zivilschutz benötigt wird, sondern auch bei Krisen und Katastrophen,
die keine militärische Ursache haben.

Die russische Aggression in der Ukraine habe zu einer völlig
veränderten Sicherheitslage geführt, betont Faeser, «zuallererst bei

unseren östlichen EU- und Nato-Partnern wie im Baltikum, aber auch
durch hybride Bedrohungen wie Cyberangriffe, Spionage und
Desinformation bei uns». Das bedeute: «Wir müssen neben der
militärischen Abschreckung und Verteidigung daher zwingend auch den
Zivilschutz stärken.» Ihr Ministerium und die ihm unterstellten
Behörden arbeiteten deshalb gemeinsam mit dem
Bundesverteidigungsministerium intensiv an einem Operationsplan zur
militärischen und zivilen Verteidigung. 

Neuer Operationsplan bleibt geheim

Eingebunden in die Arbeit an dem sogenannten OPLAN, der als geheim
eingestuft ist und in einer ersten Fassung seit einigen Wochen im
Verteidigungsministerium vorliegt, sind unter anderem auch das
Gesundheitsministerium sowie das Verkehrsressort. Denn auch Fragen
wie die Bevorratung mit Medikamenten und Sanitätsmaterial oder die
Auswirkungen von Truppentransporten auf den zivilen Verkehr sollen
vorab geklärt werden, damit im Spannungs- und Verteidigungsfall alles
möglichst reibungslos funktioniert. Damit die Vorräte der
Gesundheitsreserve nicht nach Ablauf der Haltbarkeit weggeworfen
werden müssen, sind die Apotheken großer Krankenhäuser in das System

eingebunden. 

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das
Technische Hilfswerk (THW) und die Hilfsorganisationen prüften
aktuell die jeweiligen Leistungsanforderungen, die sich aus dem OPLAN
ergäben, teilte BBK-Präsident, Ralph Tiesler, auf Anfrage mit.
Beispiele für solche Anforderungen seien etwa die Versorgung von
Verbündeten mit Treibstoff und Verpflegung sowie die Unterbringung
von verbündeten Militärangehörigen auf dem Transport durch
Deutschland.  

Soldaten und Polizei würden Infrastruktur schützen

Die Bundeswehr will bis 2027 sechs Heimatschutzregimenter auf, denen
schätzungsweise 6000 Männer und Frauen angehören werden. Im Frieden
können sie bei der Amts- und Katastrophenhilfe - schweren
Unglücksfällen über Terrorlagen bis hin zu Pandemien - eingesetzt
werden. Im Spannungs- und Verteidigungsfall oder auch bereits bei
einer krisenhaften Entwicklung sichern und schützen
Heimatschutzkräfte auch Häfen und Bahnanlagen, Güterumschlagplätze,

Pipelines, Straßen für den Truppenaufmarsch, Brücken,
Verkehrsknotenpunkte und digitale Infrastruktur gemeinsam mit der
Polizei. 

Die Bundeswehr hilft bei Naturkatastrophen, großen Waldbränden oder
auch in Notlagen wie der Corona-Pandemie oft, Schlimmeres zu
verhindern. Im Verteidigungsfall steht sie für solche Unterstützung
aber nicht zur Verfügung, weil sie ihren eigentlichen Auftrag, die
Landes- und Bündnisverteidigung, erfüllen muss. Hier müssten dann
vielmehr zivile Kräfte die Streitkräfte entlasten, etwa beim
Transport oder der medizinischen Versorgung von Verletzten.

Auf die zivile Seite kommen im Verteidigungsfall vier Hauptaufgaben
zu: die Aufrechterhaltung von Staats- und Regierungsfunktionen, der
Schutz der Zivilbevölkerung vor kriegsbedingten Schäden und deren
Folgen, die Versorgung der Bevölkerung und die Unterstützung der
Streitkräfte.

Doch ist die deutsche Bevölkerung nach Jahrzehnten des Friedens auf
einen solchen Fall, der nach Schätzung von Experten womöglich gegen
Ende dieses Jahrzehnt eintreten könnte, vorbereitet? BBK-Präsident
Tiesler meint: «Das Bewusstsein der Bevölkerung für mögliche Risike
n
ist in den letzten Jahren durch die Vielzahl von Ereignissen wie die
Pandemie oder Hochwasser in Deutschland sowie den russischen
Angriffskrieg gegen die Ukraine gestiegen.» Das lasse sich
beispielsweise an der gestiegenen Zahl von Anfragen beim Bundesamt
ablesen. Um eine belastbare Faktenlage zur Frage der
Risikowahrnehmung in Sachen Zivilschutz zu erhalten, plane das BBK
aktuell eine mehrstufige Erhebung. 

Warum ist das wichtig? Tiesler ist überzeugt: «Eine weit verbreitete
Selbstschutz- und Selbsthilfefähigkeit in der Bevölkerung trägt
essenziell zur Resilienz der gesamten Gesellschaft bei.» Faeser
findet, Bevölkerungsschutz sollte auch bundesweit Thema an Schulen
sein. Sie sagt: «Es gilt, Wissen zu vermitteln, ohne Angst zu
machen.»

Und was ist mit den notwendigen Einrichtungen und Geräten? Das BBK
hat Allrad-Fahrzeuge angeschafft. Neue Hubschrauber, mit denen
mehrere Verletzte transportiert werden können, sollen hinzukommen.
Auf Grundlage des Wassersicherstellungsgesetzes hat das
Bundesinnenministerium im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben drei
Millionen Euro ausgegeben für Notbrunnen, Pumpen und andere Maßnahmen
zur Sicherstellung der Wasserversorgung. Seit 2021 gibt es
Unterstützung vom Bund für den Ausbau der kommunalen Sirenen-Netze. 


Über die unterschiedlichen Warnkanäle könnten inzwischen bis zu 97
Prozent der Bevölkerung schnell mit einer Warnmeldung erreicht
werden, teilt das BBK am Montag in einer Mitteilung zum 20-jährigen
Bestehen des in Bonn beheimateten Bundesamtes mit. Es war am 1. Mai
2004 durch den damaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD)
gegründet worden. Alle Vorkehrungen des BBK verfolgten einen
«Doppelnutzen», betont das Bundesinnenministerium, da gleichzeitig
Vorsorge für militärische als auch für nichtmilitärische Krisen
getroffen werde. Das gelte für den Schutz von Kulturgütern genauso
wie für die Trinkwasserversorgung nach möglichen Hackerangriffen.

Keine Bunker vorhanden

Ein Schwachpunkt sind die Schutzräume. Anders als etwa in Finnland
gibt es in Deutschland nicht für jeden einen Platz in einem Bunker.
Selbst da, wo es Schächte oder Keller gibt, die als Schutzraum dienen
könnten, wissen die Anwohner in der Regel nicht, wohin sie sich
wenden müssten. «Aktuell arbeiten Bundesinnenministerium und BBK
zusammen mit anderen Institutionen an einem neuen Schutzbau-Konzept»,
sagt BBK-Chef Tiesler. Dort, wo künftig öffentliche Schutzräume
gegebenenfalls wieder zur Verfügung stehen könnten, würden dann auch

entsprechende Hinweise für die Bevölkerung erfolgen, auch über
Notfall-Apps.