Wie trans-Jugendliche richtig behandelt werden sollten Von Mia Bucher, dpa

Für wen kommen Pubertätsblocker infrage? Ab wann empfiehlt sich eine
geschlechtsangleichende Hormonbehandlung? Eine neue Leitlinie gibt
klare Empfehlungen. Sieben Jahre haben Fachleute daran gefeilt.

Berlin (dpa) - Die Behandlung von Jugendlichen, die sich nicht mit
dem bei ihrer Geburt zugeschriebenen Geschlecht identifizieren, ist
in Deutschland schon seit Jahren Praxis. Dennoch gab es bis vor
Kurzem keinen einheitlichen Leitfaden nach aktuellem Wissensstand für
die Behandlung von transgeschlechtlichen Minderjährigen für
Psychologinnen, Psychiater und Hormonspezialistinnen.

Das hat sich nun geändert. Anfang März haben 26 medizinische und
psychotherapeutische Fachgesellschaften sowie zwei
Patientenvertretungsorganisationen eine medizinische Leitlinie zur
fachgerechten Behandlung von transgeschlechtlichen Kindern und
Jugendlichen veröffentlicht. Das mehrere hundert Seiten lange
Dokument gibt viele Empfehlungen dazu, wie Betroffene respektvoll
betreut und angemessen behandelt werden sollten.

Leitlinie gibt Empfehlungen für alle Behandlungsschritte

«Die Leitlinie ist ein Meilenstein: Sie wird die medizinische und
psychotherapeutische Versorgung von trans-Jugendlichen verbessern und
transparenter machen für die Jugendlichen und ihre Familien», sagt
Sabine Maur von der Bundespsychotherapeutenkammer im Gespräch mit der
Deutschen Presse-Agentur. Die Psychotherapeutin ist eine der
Autorinnen der Leitlinie. 

Die Leitlinie gebe fundierte Empfehlungen für alle relevanten
Behandlungsschritte - von der Diagnostik, über die Möglichkeiten von
psychosozialer Unterstützung und psychotherapeutischer Behandlung,
bis hin zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen, so Maur.

Jugendlichen sollen selbst entscheiden können

Über eine geschlechtsangleichende Hormonbehandlung sollte eine
jugendliche Person nach Angaben der Leitlinie immer selbst in der
Lage sein, zu entscheiden, und die Eltern sollten dem zustimmen.
Fachleute sollen Betroffene dabei unterstützen, eine abgewogene
Entscheidung zu treffen. Für die Begleitung der Jugendlichen ist es
der Leitlinie zufolge wichtig, dass diese Expertinnen und Experten
mehrere Jahre Erfahrung auf dem Gebiet haben.

«Jugendliche machen in der Versorgung nicht selten die Erfahrung,
dass Ihnen mit Misstrauen begegnet wird oder man ihnen etwas
unterstellt», sagt Ko-Autorin Mari Günther vom Bundesverband Trans*.
So glaubten manche Versorgerinnen und Versorger, die nicht gut
informiert seien, ein Jugendlicher sei nicht richtig trans, wenn
nicht sicher sei, ob er Hormone nehmen wolle oder nicht. So fehle ein
akzeptierender Raum für den eigenen Abwägungsprozess.

Experten sollten immer im Einzelfall entscheiden

«Es ist immer erfreulich, wenn Jugendliche sich sehr sicher sind»,
sagt die systemische Therapeutin. Betroffene müssten aber auch
kalkulieren und sich fragen dürfen: Was wäre, wenn ich mich doch
irren sollte? «Jugendliche sollen verstehen dürfen, dass sie selbst
entscheiden und die Möglichkeit haben, in einem begrenzten Rahmen
etwas zu probieren und auch wieder zu lassen.»

Kinder- und Jugendpsychiater und Koordinator der Leitlinie Georg
Romer erklärt, Expertinnen und Experten sollten immer im Einzelfall
entscheiden und sorgfältig abwägen. «Wir müssen junge Menschen vor

verfrühten Fehlentscheidungen schützen, aber wir müssen auch
berücksichtigen, dass ein zu langes Warten auch schädliche Folgen
haben kann.»

Was sind Voraussetzungen für eine Hormonbehandlung?

Für eine medizinische Behandlung ist nach Ansicht der Experten
Voraussetzung, dass Patientinnen und Patienten einen hohen
Leidensdruck haben oder ohne Behandlung haben werden. Eine
geschlechtsangleichende Hormonbehandlung sollte nur dann beginnen,
wenn die Person sich seit mehreren Jahren als transgeschlechtlich
fühlt. Dies soll ausschließen, dass es sich womöglich nur um eine
vorübergehende Identitätssuche handelt. Die Sorgeberechtigten sollen
gemäß der Leitlinie in jedem Fall in den Entscheidungsprozess
einbezogen werden. 

Für den Beginn der Hormontherapie ist es aus Sicht der Fachleute
nicht notwendig, eine bestimmte Mindestanzahl an Therapiestunden
gemacht zu haben. Psychotherapie solle jeder und jedem, der oder die
sie braucht, niedrigschwellig angeboten werden. «Aber es führt zu
nichts, eine Psychotherapie zwangsweise anzubieten, weil sie dann
auch nicht hilft», sagt Mari Günther. Eine Gesprächstherapie ist
daher laut der Leitlinie keine Verpflichtung.

Jugendpsychiatrische Diagnostik auf jeden Fall notwendig

Das heißt aber nicht, dass Medikamente einfach so verschrieben werden
sollten. Bevor eine Person Pubertätsblocker nimmt oder eine
Hormontherapie beginnt, soll es der Leitlinie zufolge immer eine
umfangreiche jugendpsychiatrische Diagnostik geben. Dazu gehören auch
mehrere Gespräche mit einem Kinder- und Jugendpsychiater oder einer
Psychologin. Die Hormontherapie wird niemals vor Beginn der Pubertät
begonnen, ein Mindestalter gibt es aber nicht.

Pubertätsblocker sind Medikamente, die vorübergehend verhindern,
dass sich der Körper durch die Pubertät weiter verändert. Das
verhindert zum Beispiel, dass der Stimmbruch einsetzt, Brüste wachsen
oder Barthaare sprießen. Den Jugendlichen soll damit das Leid erspart
werden, körperliche Merkmale zu entwickeln, die nicht mit jenem
Geschlecht übereinstimmen, mit dem sie sich identifizieren. 

Pubertätsblockade verschafft Jugendlichen Zeit

Die Blockade verschafft Jugendlichen Zeit, um zu überlegen, ob sie
eine geschlechtsangleichende Hormonbehandlung beginnen wollen. Dieser
Prozess gilt als vollständig umkehrbar, sobald die Medikamente
abgesetzt werden. Wenn gewünscht, kann die Pubertät nachgeholt
werden. 

Im Gegensatz zu den Blockern bewirkt eine Hormontherapie, dass sich
der Körper aktiv verändert. Dabei werden Sexualhormone des
empfundenen Geschlechtes, bei trans-Frauen Estradiol, bei
trans-Männern Testosteron, entweder gespritzt, als Tablette genommen
oder in Form eines Gels aufgetragen. Zudem werden die Sexualhormone
des angeborenen Geschlechtes unterdrückt.

Hormone werden ein Leben lang genommen

Trans-Männer - also Personen, die sich als männlich identifizieren,
denen bei der Geburt aber aufgrund der Anatomie ein weibliches
Geschlecht zugewiesen wurde - bekommen dann zum Beispiel eine tiefere
Stimme und mehr Muskeln, trans-Frauen bekommen eine weibliche Brust,
die Gesichtsbehaarung nimmt ab.

Die Hormone müssen in der Regel ein Leben lang genommen werden. Weil
die Veränderungen zum Teil nicht wieder rückgängig gemacht werden
können, ist für diese Entscheidung «ein hohes Maß an kognitiver und

sozioemotionaler Reife» der Minderjährigen erforderlich, so die
Empfehlung der Leitlinie.

So viele Jugendliche werden jährlich behandelt

Die Zahl der medizinisch behandelten jungen Menschen ist absolut
gesehen sehr niedrig, wie es in der Leitlinie heißt. «Hochgerechnet
sind es jährlich in ganz Deutschland wenige hundert Jugendliche, die
neu mit einer Pubertätsblockade oder geschlechtsangleichende
Hormonbehandlung beginnen», erklärt Romer. 

Bei Erwachsenen haben in den vergangenen Jahren
geschlechtsangleichende Operationen stark zugenommen. Das hängt den
Expertinnen und Experten zufolge aber nicht damit zusammen, dass es
mehr transgeschlechtliche Personen gibt. Vielmehr seien eine
zunehmende Toleranz und Entstigmatisierung und eine Verbesserung der
Versorgungsangebote der Grund dafür, dass sich Betroffene häufiger
behandeln ließen.

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