Fentanyl in Deutschland: Droht eine Opioid-Krise? Mia Bucher, dpa
Die Droge Fentanyl tötet in den USA tausende Menschen. In Deutschland
ist sie bislang weniger verbreitet. Doch das könnte sich ändern.
Berlin (dpa) - In der offenen Drogenszene ist Heroin seit Jahrzehnten
ein verbreitetes Rauschmittel. Die meisten Drogentoten in Deutschland
gehen noch immer darauf zurück. Doch neue, potenziell tödlichere
Mittel drängen auf den Markt - Fentanyl zum Beispiel. Die Substanz
mache nicht nur extrem süchtig, erklärt der Psychiater Norbert
Scherbaum, es wirke auch etwa 50-mal stärker als Heroin. «Deswegen
sterben auch überproportional viele Menschen daran.» Bereits zwei
Milligramm gelten als potenziell tödliche Dosis.
2.227 Menschen starben hierzulande im vergangenen Jahr am Konsum
illegaler Substanzen, bei 712 Todesfällen war Heroin im Spiel, dicht
gefolgt von Kokain (610) und Crack (507). Oft wurde ein Mischkonsum
festgestellt.
Zehntausende Fentanyl-Tote in den USA
In den USA hat Fentanyl bereits zu einem enormen Drogenproblem mit
zehntausenden Toten geführt. Nach Angaben des nationalen
US-Instituts, das Drogenmissbrauch erforscht, starben durch eine
Überdosis synthetischer Opioide - vor allem Fentanyl - allein im Jahr
2021 mehr als 70.000 Menschen.
Fentanyl gehört zu einer Gruppe recht neuer Drogen: synthetische
Opioide wie auch Tilidin, Tramadol und Oxycodon, die als zugelassene
Medikamente eigentlich zur Behandlung von starken Schmerzen
eingesetzt werden. Fentanyl wirkt ähnlich wie Morphin, wird aber
komplett synthetisch hergestellt. In der Medizin wird es etwa bei
Tumorerkrankungen verwendet.
Schmerzmittel wird auch in Deutschland häufig verschrieben
Fentanyl kann geschluckt, gespritzt, geschnupft, geraucht oder als
Pflaster angewandt werden. In Deutschland scheine die Droge bislang
bei weitem nicht die Rolle wie in den USA zu spielen, sagt Scherbaum,
der Vorsitzender der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) ist.
Die Opioidkrise in den USA sei vor allem durch eine sehr großzügige
und sorglose Verschreibung von starken Schmerzmitteln entstanden.
Auch in Deutschland würden solche Medikamente durchaus in einem hohen
Maße und vor allem häufiger als noch vor 10 oder 20 Jahren
verschrieben. «Aber das hat nicht das Niveau der USA.» Auch jahrelang
wiederholte Erhebungen bei Opiatabhängigen auf Entzugsstationen in
Nordrhein-Westfalen hätten gezeigt, dass Fentanyl hierzulande bislang
nur eine geringe Rolle spiele, so Scherbaum.
Laut Rüdiger Schmolke vom Notdienst für Suchtmittelgefährdete und
-abhängige Berlin spielt Fentanyl in der offenen Drogenszene der
Hauptstadt noch keine große Rolle. «Wir wissen, dass es in Tests
schon gefunden wurde. Es ist aber nicht das Mittel oder der Stoff,
den unsere Klientinnen haben wollen.»
Heroin sei aus Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten sicherer und
garantiere einen längeren Rausch, sagt Schmolke, der Referent für
Prävention und Beratung ist. Außerdem wüssten viele, dass das Risiko
einer Überdosierung bei Fentanyl sehr viel höher sei. «Deshalb
reagieren unsere Klienten eher skeptisch oder ablehnend auf
Fentanyl.»
Opioidkrise könnte auch Deutschland drohen
Scherbaum glaubt, dass die Verbreitung der Droge zunehmen und auch
hierzulande zu einer Krise führen könnte. «In die Zukunft können wi
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natürlich alle nicht gucken, aber das Risiko ist sicherlich gegeben»,
schätzt der Suchtexperte.
Das hat verschiedene Gründe - einer liegt in Afghanistan. Das Land
gilt als wichtigster Standort für den Heroin-Rohstoff Opium, der aus
Schlafmohn gewonnen wird. Weil die Taliban den Anbau von Mohn 2022
verboten haben, ist die weltweite Opium-Produktion laut dem UN-Büro
für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) um 74 Prozent
eingebrochen.
Scherbaum zufolge hat das keine unmittelbaren Folgen, da die Lager
wahrscheinlich noch gut gefüllt seien. Außerdem sei möglich, dass
andere Länder nun mehr produzierten. Früher oder später sei aber mit
einer Verknappung zu rechnen.
Produktion von Fentanyl billiger als bei Heroin
Ein weiterer Grund sei, dass sich der internationale Drogenmarkt in
Zukunft stark verändern könnte, erklärt der Psychiater. «Die
Drogenkartelle merken, dass synthetische Produkte für sie viel
gewinnbringender und viel weniger risikoreich in Hinblick auf die
Strafverfolgung sind.» Die Herstellung von Fentanyl sei viel billiger
als die von Heroin, da es im Labor hergestellt werden könne.
Schon jetzt bestehe das Risiko, dass Menschen Heroin kauften, dem
Fentanyl beigemischt sei, Konsumenten aber nichts davon wüssten. Die
Folge sei, dass sie sich bei der Dosis völlig verschätzten und sich
unwissentlich eine Überdosis setzten, sagt Scherbaum. Das Risiko, an
bedrohlichen Herzrhythmusstörungen oder Atemstillstand zu sterben,
sei bei synthetischen Drogen viel höher als bei Heroin, erklärt der
Suchtexperte. Durch eine zunehmende Verbreitung von synthetischen
Opioiden würde die Zahl der Drogentoten demnach steigen.
Drogenhilfe bereitet sich vor
Auch Schmolke ist überzeugt, dass eine verminderte Verfügbarkeit von
Heroin für Abhängige «eine absehbare Katastrophe» wäre. Die
Drogenhilfe bereite sich intensiv auf eine zunehmende Verbreitung von
Fentanyl vor, auch wenn keinen Anlass für eine «Fentanyl-Panik»
gebe.
Wichtig seien Aufklärung und ein gutes und größeres Therapie- und
Substitutionsangebot für Abhängige. In Berlin etwa gibt es laut dem
Gesundheitswissenschaftler vier Drogenkonsumräume und drei
Konsummobile. Das sei zu wenig.
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