Pflegekräfte aus Drittstaaten stehen vor Herausforderungen Von Franziska Spiecker, dpa
Nirgends ist der Engpass in Deutschland so groß wie bei ausgebildeten
Pflegekräften. Doch was bedeutet es für Menschen, die aus Ländern
jenseits der EU zu kommen, um in der Branche Arbeit zu finden?
Homburg/Berlin (dpa) - Um ihren Sohn vor seinem Schulbeginn zu
sprechen, muss Priyaraj Prabha um 4 Uhr morgens wach sein. 4.00 Uhr
an ihrem Wohn- und Arbeitsort im saarländischen Homburg sind 7.30 Uhr
bei ihrer Familie im südindischen Bundesstaat Kerala. Die 35-jährige
Pflegekraft ruft ihren Achtjährigen nur an manchen Tagen so früh an,
etwa wenn ein Test in der Schule ansteht. Doch frühes Aufstehen kennt
sie auch so aus ihrem Alltag. Prabha ist eine von zuletzt rund
270.000 ausländischen Pflegekräften in Deutschland. Wie ist es, wenn
man von weit her kommt, um hier kranke oder alte Menschen zu
pflegen?
Prabha hat bereits acht Jahre als Krankenpflegerin gearbeitet, bevor
sie über eine Freundin von der Möglichkeit hörte, über ein
staatliches deutsches Anwerbeprogramm («Triple Win») nach Deutschland
zu kommen. Mit dem Programm werben die Bundesagentur für Arbeit und
die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im
Auftrag deutscher Kliniken und Pflegeeinrichtungen in mehreren
Nicht-EU-Ländern um ausgebildete Pflegefachkräfte. Denn der Mangel
hierzulande ist groß.
«Die ausgebildeten Pflegekräfte stehen an erster Position unter allen
Berufsgruppen mit einem Engpass», teilt die Arbeitsagentur im Mai
mit. Als Folge der alternden Gesellschaft werden laut
Vorausberechnung des Statistischen Bundesamts bis 2049
voraussichtlich zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte fehlen.
Ausländer sorgen für Beschäftigungswachstum in Pflege
Schon jetzt sind es vor allem ausländische Pflegekräfte, die den
Mangel abmildern: Laut der Arbeitsagentur geht das
Beschäftigungswachstum in der Pflege in den vergangenen zehn Jahren
überwiegend und seit 2022 sogar nur auf Ausländerinnen und Ausländer
zurück. Auffällig ist dabei auch, dass inzwischen die meisten von
ihnen aus Ländern außerhalb der EU kommen. 2018 traf das noch auf gut
die Hälfte der sozialversicherungspflichtig beschäftigten
ausländischen Pflegenden zu, 2023 auf fast zwei Drittel.
Der Markt in der EU sei auch angespannt, sagt Prabhas Arbeitgeber,
der Personalchef des Universitätsklinikums des Saarlandes in Homburg,
Christian Müller. Bei einigen Pflegekräften aus der EU habe das
Krankenhaus vor ein paar Jahren zudem die Erfahrung gemacht, dass sie
ihren Lebensschwerpunkt nicht langfristig nach Deutschland verlagern
wollten.
Indische Pflegerin: Deutschland nicht nur finanziell attraktiv
Bei Prabha ist das anders - genau wie bei vielen Pflegekräfte, die
das Krankenhaus etwa aus Mexiko oder Indien rekrutiert. «Es ist mein
Traum, in einem europäischen Land zu arbeiten», sagt die Inderin. Sie
ist seit Mitte März in Deutschland. Warum ist das attraktiv für sie?
In ihrer Heimat müssten sich Pflegende um sehr viele Dinge und sehr
viele Patientinnen und Patienten auf einmal kümmern, erzählt Prabha.
Die Zeit reiche dort nicht, um all die Aufgaben zu erfüllen. In
Deutschland hätten sie dagegen mehr Zeit und weniger Stress: «Wir
können uns um den Patienten kümmern, den Patienten gut versorgen.»
Und auch finanziell könnten Pflegekräfte wie sie ihre Situation hier
verbessern.
Noch nicht lange wirbt Deutschland offensiv um Inderinnen und Inder
für die Pflege. Der Bundesstaat Kerala nimmt nach GIZ-Angaben seit
Ende 2021 am «Triple Win»-Programm teil, der Bundesstaat Telangana
seit November 2023. Man arbeite «ausschließlich mit Partnerländern
zusammen, in denen es einen hohen Anteil an arbeitslosen
Pflegefachkräften gibt», erklärt das Bundesunternehmen über das
Programm. Seit dessen Start 2013 seien Stand Juni 6.200 ausgebildete
Pflegekräfte an deutsche Arbeitgeber vermittelt worden - darunter
mehr als 300 aus dem indischen Kerala.
«Herausforderung, die deutsche Sprache zu lernen»
Bevor es für sie nach Deutschland ging, stand die wohl schwierigste
Hürde an: Deutschkurse und -prüfungen, A1 bis B1. «Es ist eine
riesengroße Herausforderung, die deutsche Sprache zu lernen für die
Zielgruppe», sagt Kiara Greulich. Von Januar bis August 2023 hat sie
Prabha und anderen Pflegekräften am Goethe-Zentrum in
Thiruvananthapuram Deutsch beigebracht. Einmal kam in dieser Zeit
auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorbei.
Prabha erinnert sich noch daran gut. Sie hat sich damals auf die
B1-Prüfung vorbereitet. Zum Bestehen musste sie in vier verschiedenen
Modulen jeweils 60 Prozent erreichen. «Ich habe gefragt: Herr
Bundesminister, könnten Sie bitte den Prozentsatz für das Hören und
Lesen reduzieren? (...) Schreiben und Sprechen ist für uns kein
Problem». Sie lacht, als sie davon berichtet, auch Heil habe gelacht.
«Ich weiß, dass die Sprachanforderungen im Bereich Gesundheit und
Pflege sehr, sehr hoch sind», sagte der Arbeitsminister damals. Das
sei auch aus Qualitätsgründen so und etwa für das Verabreichen von
Medikamenten wichtig.
Arbeitgeber: Wohnraum und Kinderbetreuung mitdenken
Die Sprache ist allerdings nicht die einzige Herausforderung. In
vielen Städten gibt es kaum noch erschwinglichen Wohnraum, wie Müller
sagt. Beim «Triple Win»-Programm verpflichten sich die Arbeitgeber,
den ausländischen Pflegekräften eine Unterkunft zu organisieren. Das
Bundesarbeitsministerium begrüßt ferner, wenn Fachkräfte aus
Drittstaaten ihre Familien zu sich holen. Der Familiennachzug kann -
so die Hoffnung - zu langfristiger Integration beitragen.
Auch Pflegekräfte wie Prabha müssen inzwischen weniger
Voraussetzungen erfüllen, um Ehegatten und minderjährige Kinder zu
sich zu holen: Das ist mittlerweile ohne Nachweis von genug Wohnraum
oder Sprachkenntnissen der Ehepartner möglich. Die Voraussetzungen:
Abgeschlossenes Anerkennungsverfahren, Aufenthaltserlaubnis,
gesicherter Lebensunterhalt für sich und die Ihren. Noch gilt Prabha
in Deutschland nicht als examinierte Pflegekraft. Neben einer
B2-Sprachprüfung hat die Inderin bis zur Anerkennung auch noch eine
Prüfung ihrer Pflegekenntnisse vor sich.
Es ist nicht ihre erste Erfahrung im Ausland, fern von Mann und Sohn
in Indien. Die 35-Jährige hat schon einmal in Saudi-Arabien
gearbeitet. Doch nach zwei Jahren war Schluss: «Dann habe ich
gekündigt, weil ich bei meiner Familie sein wollte.» Ihre Familie zu
sich zu holen, habe sie sich dort finanziell nicht leisten können -
das kann hier je nach Lohn anders sein.
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