Explosion in Ratingen: Verdächtiger aus Prepper-Szene in U-Haft Von Frank Christiansen und Rabea Gruber, dpa

Bei der schweren Explosion mit fünf lebensgefährlich verletzten
Einsatzkräften in Ratingen hat es sich vermutlich um einen gezielten
Angriff gehandelt. Der Verdächtige kam wegen versuchten Mordes in
Untersuchungshaft.

Düsseldorf (dpa) - Nach der schweren Explosion in Ratingen bei
Düsseldorf hat ein Richter den Verdächtigen wegen versuchten Mordes
in neun Fällen in Untersuchungshaft geschickt. Das gaben Polizei und
Staatsanwaltschaft am Freitag in Düsseldorf bekannt. Die Tat sei
heimtückisch gewesen und mit gemeingefährlichen Mitteln verübt
worden. Beides seien Mordmerkmale, sagte Staatsanwältin Laura
Neumann.

Der 57 Jahre alte Verdächtige gehöre der Prepper-Szene an, sagte eine
leitende Ermittlerin der Polizei. Er habe Vorräte etwa von
Toilettenpapier angelegt. Als Prepper, abgeleitet vom englischen
«prepare» (vorbereiten), werden Menschen bezeichnet, die sich auf das
Überleben im Katastrophenfall vorbereiten. Weiter sagte die
Ermittlerin: «Wir haben Hinweise darauf, dass er auch ein
Corona-Leugner ist, konkrete Hinweise darauf.» Ob es einen
Zusammenhang zur Tat gebe, sei nicht geklärt.

Der Mann habe sich in der Wohnung verschanzt und die Tür
verbarrikadiert. Sie gehe nicht von einer spontanen Tat aus, eher von
mehreren Tagen Vorbereitung, so die Ermittlerin.

Der Mann habe den Einsatzkräften mit einem Gefäß Benzin
entgegengeschleudert, als diese die Wohnung betreten wollten. Es
werde noch untersucht, ob es sich um ein Gemisch mit weiteren
Brandbeschleunigern gehandelt hat.

Zwei Polizisten sowie sieben Feuerwehrleute und
Rettungsdienst-Mitarbeiter waren von einem Feuerball getroffen worden
und hatten zum Teil schwerste Verbrennungen erlitten.

Der Verdächtige selbst sei dabei entgegen früherer Angaben nicht
schwer, sondern nur leicht verletzt worden. Ein Psychiater sei
eingeschaltet, bislang stufe man den 57-Jährigen aber als schuldfähig
ein.

Er sei keiner Arbeit nachgegangen und habe in der Wohnung mit seiner
rund 90 Jahre alten Mutter gelebt. Weil der Briefkasten nicht mehr
geleert wurde und überquoll, hatte die Vermieterin die Polizei
gebeten, nach dem Rechten zu sehen.

Wenige Tage zuvor habe ein Polizist mit einem Haftbefehl an der
selben Wohnung geklingelt, berichteten die Ermittler: Bei dem
57-Jährigen handele es sich um einen Gewalttäter, der bereits wegen
drei Körperverletzungen aufgefallen sei und gegen den deswegen zwei
Strafbefehle verhängt worden waren. Weil er eine Geldstrafe nicht
bezahlt hatte, sollte er eine Ersatz-Freiheitsstrafe antreten.

Die Behörden räumten ein, dass die Einsatzkräfte, die nun wegen einer

«hilflosen Person» zu der Wohnung gerufen worden waren,
möglicherweise nicht von der Gewalttätigkeit des Bewohners wussten.

Im Zusammenhang mit dem Einsatz nach der Explosion habe es in dem
Hochhaus möglicherweise ein Todesopfer gegeben. Ein älterer Mann, der
in dem Haus gelebt habe, sei gestorben, bestätigte eine
Polizeisprecherin. Nach Informationen des «Spiegel» hatte der Mann
durch den mehrstündigen Einsatz in dem abgeriegelten Gebäude nicht
medizinisch versorgt werden können. Ob der Tod tatsächlich durch den
Einsatz bedingt war und dem 57-Jährigen auch juristisch anzulasten
sei, werde noch geprüft, sagte eine Sprecherin der
Staatsanwaltschaft.

Fünf Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst befanden sich am
Freitag nach Angaben der Feuerwehr Ratingen im künstlichen Koma. Sie
waren in Spezialkliniken für Brandverletzte nach Köln, Duisburg,
Dortmund, Düsseldorf und Bochum gebracht worden. «Die Kollegen
erlitten Verbrennungen von bis zu 40 Prozent der Körperoberfläche»,
teilte die Feuerwehr mit.

Nach Angaben der Polizei von Donnerstagabend waren zudem eine
25-jährige Polizistin und ein 29 Jahre alter Polizist
lebensgefährlich verletzt worden. 21 Spezialkräfte der Polizei waren
vorsorglich wegen Verdacht auf Rauchvergiftung behandelt worden,
entpuppten sich aber letztlich als nicht verletzt.

Der Beschuldigte habe zu den Vorwürfen geschwiegen und auf einen
Anwalt verzichtet. Ihm sei dennoch ein Pflichtverteidiger zur Seite
gestellt worden. Bei einer Durchsuchung fand die Polizei im Keller
PTB-Waffen, Messer und Dolche.

Nach der Explosion soll der Verdächtige die komplette Wohnung in
Brand gesetzt haben. Er war schließlich von Spezialkräften
überwältigt und festgenommen worden, als diese die Wohnung stürmten.

In der Wohnung waren die Einsatzkräfte auf die Leiche einer Frau
gestoßen. Dabei soll es sich um die Mutter des Verdächtigen handeln.
Zweifelsfrei identifiziert war sie am Freitag aber noch nicht. Die
Frau sei schon länger tot gewesen. Die Einsatzkräfte hätten einen
deutlichen Verwesungsgeruch wahrgenommen.

Weil während der Explosion eine Dienstwaffe der Polizei verloren
gegangen war, hatten die Einsatzkräfte nicht ausschließen können,
dass der Gewalttäter in den Besitz dieser Waffe gekommen war. Auch
deswegen seien während des Großeinsatzes Scharfschützen in Stellung
gegangen. Die Waffe sei tatsächlich später in der Wohnung entdeckt
worden. Hinweise, dass der Beschuldigte sie benutzt habe, gebe es
aber nicht.

«Die furchtbare Tat gegen die Einsatzkräfte in Ratingen macht mich
fassungslos und wütend», erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser

(SPD) am Freitag. Es handele sich um eine kaum vorstellbare Tat mit
unfassbarer Brutalität und einen hinterhältigen Angriff. Der Anstieg
der Angriffe auf Polizei- und Rettungskräfte mache ihr große Sorgen.