Mädchen mit Magersucht und Bulimie: Essstörungen nehmen massiv zu Von Thomas Strünkelnberg, dpa
Im Internet sieht es so leicht aus - Social-Media-Plattformen quellen
über von Bildern scheinbar perfekter Körper. In der Realität kämpfe
n
immer mehr vor allem junge Frauen mit Essstörungen wie Magersucht.
Das hat viele Gründe. Aber vor allem eines hat den Trend verstärkt.
Hannover (dpa/lni) - Die Zahl der Jugendlichen mit Essstörungen wie
Magersucht oder Bulimie ist einer neuen Untersuchung zufolge
bundesweit gestiegen - besonders in der Corona-Pandemie. Vor allem
bei 12- bis 17-jährigen Mädchen und Frauen gab es einer Studie der
KKH Kaufmännische Krankenkasse zufolge zwischen 2020 und 2021 einen
massiven Anstieg um über 30 Prozent. Einer der Gründe - neben der
Pandemie: «Fake-Ideale» und die Flut von Bildern vermeintlich
makelloser Menschen auf Social-Media-Plattformen.
2021 litten 17,6 von 1000 Menschen in dem Alter an einer Essstörung,
ein Jahr zuvor waren es 13,4 und im Vor-Corona-Jahr 2019 noch 12,9
von 1000 Jugendlichen, wie aus den Daten der KKH in Hannover
hervorgeht. 2011 waren es 11 von 1000. Laut Hochrechnung dürften
bundesweit etwa 50 000 Jugendliche im Alter von zwölf bis 17 Jahren
von einer Essstörung betroffen sein - die meisten davon Mädchen und
junge Frauen. Unter den Versicherten der KKH gab es 2021 insgesamt
10 100 Fälle, unter den 12- bis 17-Jährigen waren es 1017 Betroffene,
davon 802 Frauen. Die KKH ist mit mehr als 1,6 Millionen Versicherten
eine der großen bundesweiten Krankenkassen.
Die Dunkelziffer sei hoch, die Daten bildeten nur ärztlich
diagnostizierte Fälle ab. Allein 2017 starben nach Angaben des
Statistischen Bundesamts 78 Menschen in Deutschland an Essstörungen,
ein Drittel mehr als im Jahr zuvor. Dazu zählen Magersucht, bei der
Menschen bis zu einem lebensbedrohlichen Untergewicht hungern,
Bulimie oder Ess-Brech-Sucht, bei der Betroffene nach Essattacken
erbrechen oder Abführmittel missbrauchen, um nicht zuzunehmen, und
die Binge-Eating-Störung mit unkontrollierbaren Essattacken, die
Übergewicht oder Adipositas, also Fettleibigkeit, auslösen können.
«Die Gründe für eine Essstörung sind vielfältig und reichen von
traumatischen Erlebnissen wie Missbrauch über familiäre Konflikte bis
hin zu Leistungsdruck und Mobbing», erklärte KKH-Psychologin
Franziska Klemm. Eine Rolle spielten auch Social-Media-Plattformen,
die ein «unrealistisches und gefährliches Körperideal» zeichneten:
«Solche Vorbilder können die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben
und auch dem eigenen Körper forcieren», sagte sie. «Das kann die
Entwicklung eines gestörten Essverhaltens begünstigen, vor allem,
wenn Jugendliche bereits unter psychischen Problemen leiden oder
einen geringen Selbstwert haben.»
In der Corona-Pandemie hätten Kinder und Jugendliche sich stärker mit
sozialen Medien beschäftigt. «In den Lockdownphasen fehlte ihnen vor
allem der Realitätsbezug und somit auch der Vergleich, wie Freunde
und Mitschüler im echten Leben ohne Filter aussehen», erklärte Klemm.
Der Austausch untereinander und ein geregelter Alltag seien den
Beschränkungen der Pandemie zum Opfer gefallen. «Das sind alles
haltgebende Strukturen, die vor allem in der Pubertät wichtig sind»,
sagte sie. Kinder und Jugendlichen hätten teils versucht, den
«Kontrollverlust zu kompensieren, indem sie sich selbst
kontrollieren, zum Beispiel mit Diäten und Sport».
Christine Joisten, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft
Adipositas im Kindesalter, geht nach früheren Angaben besonders im
Falle der Fettleibigkeit von einem dauerhaften Effekt aus: «Die Welt
ändert sich ja nicht», sagte sie. Zwar habe die Pandemie die Rolle
der digitalen Beschäftigung «hochgespült», aber schon vorher hätt
en
sich Kinder wenig bewegt - und auch Lebensmittel mit vielen Kalorien
habe es bereits gegeben.
Essstörungen sind nach Angaben der Krankenversicherung nach wie vor
ein vor allem weibliches Phänomen. Zwischen 2020 und 2021 sei der
Anteil der jungen Frauen unter den betroffenen 12- bis 17-Jährigen
von 75,7 Prozent auf 78,9 Prozent gestiegen, in den meisten anderen
Altersgruppen liege der Anteil über 80 Prozent. Meist beginne die
Krankheit in der Pubertät - Mädchen kämen immer früher in diese
Phase, daher komme es eher zu Essstörungen. Für Mädchen sei zudem die
eigene Wirkung im Netz wichtiger als für Jungen.
Dennoch sei der Anstieg bei den Essstörungen in der Gruppe der 18-
bis 24-Jährigen unter Männern höher gewesen - 2021 registrierte die
Krankenversicherung bei den Männern dieses Alters ein Plus von 18,7
Prozent, bei den Frauen waren es 12,4 Prozent. Die KKH warnte,
Bulimie und Magersucht seien schwere psychische Erkrankungen, die mit
Angststörungen, Depressionen oder Sucht einhergingen. Wer daran
leide, dem falle es oft schwer, sich einzugestehen, Hilfe zu
brauchen, sagte Klemm. «Dies ist aber ein ganz wichtiger Schritt für
die Genesung.»
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