Avatar hilft schwerkranken Schülern - in Unterricht und Pause dabei Von Ira Schaible und Arne Dedert , dpa

Nicht nur die Corona-Pandemie hat Schüler von Unterricht und
Mitschülern fern gehalten. Oft sind es auch schwere Krankheiten oder
Unfälle. Ein Avatar kann helfen, den Kontakt nicht zu verlieren - und
damit auch beim Gesundwerden unterstützen.

Mainz (dpa/lrs) - Sogar während ihrer Chemotherapie konnte Priska
Gerster den Unterricht im Gymnasium Mainz-Oberstadt verfolgen. Ein
Roboter saß für die an Krebs erkrankte Elftklässlerin in ihren
Kursen. Über diesen Avatar, WLAN und eine App auf ihrem Tablet konnte
Priska sehen und hören, was im Klassenzimmer vor sich ging. Aber
nicht nur: Mit einem blinkenden Lichtzeichen auf dem 30 Zentimeter
großen Gerät meldete sie sich, stellte Fragen oder beantworte sie.
«Meine Mitschüler haben den Avatar von Klassenraum zu Klassenraum
mitgenommen», erzählt die 17-Jährige, die inzwischen wieder zur
Schule geht. «Meine Freunde haben ihn immer «Priska 2» genannt.»

Zehn solcher Geräte können die Schulen in Rheinland-Pfalz inzwischen
beim Digitalen Kompetenzzentrum ausleihen, heißt es im
Bildungsministerium. Dazu kommen 17 an der Mainzer
Universitätsmedizin, wie die an die Klinik abgeordnete Lehrerin
Gundula Weckenmann berichtet. Viele davon werden von Spenden
finanziert. «3500 Euro kostet ein Gerät, plus 790 Euro pro Jahr unter
anderem für Versicherung, Gewährleistung und Updates», berichtet
Cornelia Benzing, Sprecherin der Techniker Krankenkasse, die nach
eigener Darstellung einen der allersten Avatare im Bundesland
mitfinanziert hat.

Wenn es Priska mal gar nicht gut ging oder sie mitten in einer
Behandlung war, schaltete sie den Roboter stumm. Als Zeichen dafür
leuchtet die Schädeldecke des weißen Geräts blau, das die Form einer

30 Zentimeter hohen Büste hat, aber voll drehbar ist. Ihre Stimmung
konnte Priska in der Klasse über die leuchtenden Augen des Avatars
ausdrücken: «Meist hatte ich das lächelnde Gesicht eingestellt»,
berichtet sie. Die Augen können aber auch traurig, nachdenklich oder
einfach freundlich-neutral blicken.

«Viele personalisieren ihre Avatare», berichtet Weckenmann.
Sommersprossen, Aufkleber ihres Lieblingsfußballvereins oder ein
großer gelber Haargummi, wie bei Priska - mit dem sie vor ihrer
Erkrankung ihre langen blonden Locken zusammengebunden hatte.

Priskas Freunde, die sie in der Uniklinik nicht besuchen durften,
unterhielten sich über den Avatar auch mit ihr: «Bist Du in der
Klinik? Wie geht es Dir? Soll ich ihn mitnehmen?», hätten sie
gefragt. «In der Mittagspause saß ich immer im Aufenthaltsraum
dabei.» Sie habe auch Fotos vom Avatar im Unterricht geschickt
bekommen - mit Kommentaren wie: «Guck, jetzt bist Du vorne am
Whiteboard», erzählt Priska. «Es war cool, mich im Unterricht zu
sehen.»

Wie viele Schüler und Schülerinnen einen sogenannten
Telepräsenzroboter gebrauchen könnten, weil sie einen schweren Unfall
hatten, an Krebs erkrankt sind oder an chronischen Krankheiten wie
Asthma, Mukoviszidose und Diabetes leiden, weiß niemand genau. Der
Hersteller No Isolation geht auf seiner Homepage davon aus, dass von
den knapp elf Millionen Schülerinnen und Schüler in Deutschland mehr
als 130 000 über lange Zeiträume zu krank sind, um die Schule zu
besuchen.

«Die Nachfrage nach solchen Hilfsmitteln kann derzeit noch nicht
exakt beziffert werden», heißt es im Bildungsministerium. Der Einsatz
von Avataren sei allerdings nur in Einzelfällen sinnvoll. Längst
nicht immer sei dies aus ärztlicher Sicht möglich. Diese «innovative

individualisierte Form des Distanzlernens für langfristig erkrankte
Schülerinnen und Schüler» werde jedoch unterstützt und in
Zusammenarbeit mit dem Pädagogischen Landesinstitut ein Konzept für
den Einsatz entwickelt. Derzeit würden die Nutzungsbedingungen der
Avatare vereinheitlicht.

«Wir vertreten die Auffassung, dass die Datenverarbeitung beim
Einsatz eines Telepräsenzroboters durch das Schulgesetz gedeckt ist
und es keiner weiteren speziellen Regelungen bedarf», heißt es im
Ministerium. «Dieser Auffassung hat sich der
Landesdatenschutzbeauftragte angeschlossen.» Damit reicht eine
Datenschutzerklärung der Eltern des betroffenen Kindes für den
Einsatz aus.

Bei Priska hatten noch alle Eltern und Lehrer zustimmen müssen. Es
habe aber keiner Bedenken gehabt, berichtet Stufenleiterin Anne
Schmitt. «Das war gut vorbereitet und ich habe den Avatar mit in die
Konferenz gebracht.» Das ist aber nicht an allen Schulen so: Bei
einem anderen in der Unimedizin behandelten Kind sei der Einsatz
eines Avatars daran gescheitert, sagt Weckenmann.

Die Realschullehrerin kümmert sich in der Uniklinik darum, dass
erkrankte Kinder weiter unterrichtet werden und hat auch Priska bei
Fragen unterstützt. «Wenn Schulkinder und Jugendliche langwierig
erkranken, leiden sie besonders darunter, dass sie nicht in die
Schule gehen können und den Kontakt zu Gleichaltrigen verlieren»,
stellt die Pädagogin fest. «Das hat nicht nur großen Einfluss auf die

Lernfähigkeit, sondern auch auf die Psyche.»

«Für Priska war das ein toller Weg, anzukommen», sagt ihre
Stufenleiterin Schmitt. Sie habe die 17-Jährige, die bis zur zehnten
Klasse ein anderes Gymnasium besucht hatte, gleich am ersten Tag mit
dem Avatar allen vorgestellt. «Wir haben darüber auch Priska mal zu
einem Spaziergang mitgenommen», erzählt sie.

«Ich muss die elfte Klasse jetzt nicht wiederholen», freut sich
Priska, die von Mai bis November 2022 gar nicht in die Schule konnte
und insgesamt rund dreieinhalb Monate in der Uniklinik behandelt
wurde. Dennoch: «In den ersten fünf Wochen habe ich gemerkt, mir
fehlt was, ich brauche einen Alltag», erzählt sie. «Der Avatar war
eine absolute Hilfestellung während meiner Krankheit.»