Mysteriöse Vergiftungswelle hält den Iran in Atem Von Arne Bänsch, dpa
Hunderte Schulmädchen sind in den vergangenen drei Monaten vergiftet
worden. Immer noch gibt es keine offizielle Erklärung. Die Wut bei
Eltern steigt.
Tehran/Ghom (dpa) - «Als sich der Geruch ausbreitete, haben alle
sofort verstanden, worum es geht und sind aus dem Klassenzimmer
gerannt.» Die dramatische Szene, die eine Achtklässlerin der
iranischen Zeitung «Shargh» schilderte, beschreibt einen der jüngsten
Fälle mysteriöser Giftanschläge in Irans Schulen. Eltern sind
fassungslos, besorgt und wütend. Immer noch gibt es keine offizielle
Erklärung. Hunderte Schülerinnen in Dutzenden Schulen sind inzwischen
betroffen, wie die Behörden jüngst bekannt gaben.
Die ersten Fälle wurden bereits Ende November gemeldet, als die
Proteste im Iran in vollem Gange waren. Waren zunächst nur einige
Mädchenschulen in der schiitischen Hochburg Ghom betroffen, wurden in
den vergangenen Tagen immer mehr Fälle in anderen Landesteilen
bekannt. Viele Mädchen wurden in Krankenhäuser eingeliefert. Nun
erreichte die Vergiftungswelle auch die Hauptstadt Teheran. Videos
der Zeitung «Shargh» zeigten Rettungswagen und Feuerwehrautos vor
einer Schule im Osten der Millionenmetropole.
Seit einigen Tagen ist die Vergiftungswelle das beherrschende Thema
in den iranischen Medien. Alleine am Mittwoch wurden Fälle Dutzenden
Schulen gemeldet. Wenig ist bisher über die Hintergründe bekannt,
gleichzeitig wird viel spekuliert. Doch die Symptome sind immer
gleich: Schwindel, Übelkeit und Atemnot. Betroffene erzählten unter
anderem von zischenden Geräuschen in den Klassenräumen und
Schwefelgeruch. Iranische Ärzte tippen daher auf Giftgase.
Erst waren Politiker zögerlich, dann verkündeten Abgeordnete eine
erschreckende Erkenntnis: Es handele sich um gezielte Anschläge in
den Schulen. Aus Behördenkreisen wurde bekannt, dass die Regierung
extremistische religiöse Gruppen hinter der Vergiftungswelle
vermutet.
Nachdem sich zunächst das Gesundheitsministerium mit den Fällen
befasste, schaltete sich nun auch der erzkonservative Präsident
Ebrahim Raisi ein. Dieser machte wie bereits während der jüngsten
Protestwelle die «Feinde Irans» für die Situation verantwortlich. Sie
wollten Angst und Schrecken verbreiten. Dieser Erklärung wurde in der
Vergangenheit wenig Glauben geschenkt.
Seit Monaten steht Raisis Regierung neben der klerikalen Führung
unter Druck. Die Frauenproteste im vergangenen Herbst hatten die
politische Führung in die schwerste Krise seit Jahrzehnten gestürzt,
auch die schwierige Wirtschaftslage bereitet vielen große Sorgen.
Auch in Deutschland gab es Reaktionen. Außenministerin Annalena
Baerbock (Grüne) forderte eine lückenlose Aufklärung. Die Berichte
seien schockierend, schrieb die Ministerin auf Twitter. «Mädchen
müssen ohne Angst zur Schule gehen können.» Das sei nichts weniger
als ihr Menschenrecht. Eine Reaktion aus Teheran folgte
prompt. Außenamtssprecher Nasser Kanaani bezeichnete Baerbocks Sorgen
als heuchlerisch. Die Vergiftungswelle werde noch aufgeklärt.
In den sozialen Medien spekulierten einige Kritiker, dass die
Vergiftungen Rache an den Schülerinnen für ihren Protest im Herbst
seien. Bei den Demonstrationen gegen die repressive Politik hatten
mehrheitlich junge Mädchen und Frauen teilgenommen. Irans
stellvertretender Gesundheitsminister Junes Panahi äußerte den
Verdacht, dass einige Gruppen Mädchenschulen geschlossen sehen
wollen.
Eine Mutter in Ghom sagte nun: «Sie wollen, dass die Mädchen wie bei
den Taliban nicht mehr zur Schule gehen.» Erst hätten sie in der
schiitischen Hochburg angefangen, dann im Rest des Landes. «Warum
gibt es keine polizeilichen Untersuchungen?», klagt die Mutter.
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