Wie Impfgegner Todesfälle von Prominenten im Netz instrumentalisieren Von Markus Bergmann, dpa

Stirbt ein Prominenter in jungen Jahren, reagieren viele Menschen
bestürzt. Impfgegner wiederum versuchen häufig, diese Trauer für ihre

Zwecke zu nutzen - mit einem zynischen Hashtag.

Berlin (dpa) - Corona-Impfstoffe gelten als sicher, Milliarden
Impfdosen sind seit Ende 2020 weltweit verabreicht worden. Doch in
den sozialen Netzwerken machen Impfgegner weiter Stimmung. Eine
Methode: Todesfälle von prominenten, meist jungen Menschen in einen
Zusammenhang mit Impfnebenwirkungen rücken - ohne irgendeinen Beleg.

So etwa im Fall Jeremy Ruehlemann: Das US-Model starb im Januar im
Alter von nur 27 Jahren. Unter die Trauer mischen sich im Netz
Kommentare von radikalen Impfgegnern. Auf Twitter etwa nutzen sie den
Hashtag «#plötzlichundunerwartet». Der sarkastisch gemeinte Code
drückt letztlich nur die zynische Haltung aus: Hier ist nichts
unerwartet, denn wir haben ja immer gewarnt, dass die Impfung
gefährlich ist. Dieses Narrativ sucht sich mit Promi-Todesfällen neue
vermeintliche Beweise.

Dass Medien längst über Ruehlemanns tatsächliche Todesursache
berichtet haben, spielt in der Szene keine Rolle. Gegenüber der
englischen Boulevardzeitung «Daily Mail» sprach der Vater des Toten
von einer Medikamentenabhängigkeit und einer tödlichen Überdosis.

Mehr Belege als einen irgendwie vermuteten Zusammenhang zwischen
Impfung und Tod präsentieren Impfgegner in der Regel nicht. Im Falle
Ruehlemanns kursierte als angeblicher Beweis ein Foto, das ihn in New
York bei einer Corona-Impfung zeigt. Ursprünglich hatte Ruehlemann es
im Jahr 2021 auf seinem Instagram-Account veröffentlicht. Nach seinem
Tod sammeln sich unter diesem alten Posting nun Kommentare wie
«Natürliche Auslese» oder «Da hat er sein eigenes Todesurteil
unterzeichnet».

Solche teils menschenverachtenden Sätze zu Ruehlemann reihen sich ein
in Reaktionen auf andere Todesfälle. So sammelten Impfgegner unter
«#plötzlichundunerwartet» in den vergangenen Wochen auch Verstorbene

wie Sängerin Lisa Marie Presley, Skifahrerin Rosi Mittermaier und
Model Tatjana Patitz. Der Herzstillstand von American-Football-Profi
Damar Hamlin während eines Spiels Anfang Januar wurde ebenfalls als
Impfnebenwirkung gedeutet. Nicht immer sind bei diesen Menschen
Todesursachen oder Erkrankungen bekannt, doch allen Fällen ist
gemein: Auf einen Zusammenhang mit der Impfung deutet nichts hin -
außer dem Raunen im Netz.

Die Hamburger Journalistikprofessorin Katharina Kleinen-von Königslöw
forscht zu sozialen Netzwerken und Verhaltensweisen von Nutzerinnen
und Nutzern. «Der Impfgegner-Hashtag folgt einem ganz typischen
Muster von Verschwörungstheorien. Deren Reiz besteht ja darin,
spielerisch Hinweise zu finden für ein größeres Muster dahinter»,
sagt sie. Und tatsächlich kann jeder Nutzer mittels des Hashtags zu
der Sammlung von vermeintlichen Impf-Todesfällen beitragen.

Es gebe verschiedene Gruppen, die sich an dieser
Impfschaden-Erzählung beteiligen. Neben überzeugten Impfgegnern und
Menschen, die zum Beispiel ein unternehmerisches Interesse an der
Verbreitung von Verschwörungstheorien hätten, seien da Menschen, «die

vielleicht einfach Fan waren oder die verstorbene Person interessant
fanden», sagt Kleinen-von Königslöw. Bei dieser Gruppe bestehe die
Gefahr, dass sie sich in die Verschwörungstheorie hereinziehen lasse.
Denn es gebe verbreitet Unsicherheiten und «viele gute Gründe, warum
man die Impfung unheimlich finden konnte: die schnelle Entwicklung
der Impfstoffe und die neue mRNA-Technologie etwa».

Die konkrete Wirkung des Hashtags «plötzlichundunerwartet» besteht
darin, dass er zu einer selektiven Wahrnehmung führt: «Wenn man
einmal auf diesen vermeintlichen Trend aufmerksam gemacht wurde,
fällt es viel stärker auf», sagt Kleinen-von Königslöw. Aus viele
n
Einzelfällen werde so der Eindruck: Todesfälle häufen sich - und der

Grund kann nur sein, dass die Corona-Impfung schädlich ist.

Tatsächlich sind schwere Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe sehr
selten. In Deutschland führt das Paul-Ehrlich-Institut (PEI)
Statistiken über die Sicherheit der Impfungen. Ausgewertet werden zum
Beispiel Meldungen über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen. Auf diese
Weise wurde etwa bekannt, dass in sehr seltenen Fällen nach der
Impfung Herzmuskelentzündungen auftraten. Impfempfehlungen wurden
daraufhin angepasst.

Anfang 2022 meldete das PEI 85 Todesfälle, bei denen ein
«ursächlicher Zusammenhang mit der Corona-Impfung als möglich oder
wahrscheinlich» eingestuft wurde. Verabreicht waren zu diesem
Zeitpunkt fast 150 Millionen Impfdosen. Die Zulassung von Impfstoffen
ist eine Frage der Abwägung: Übersteigt der Schutz, den sie bieten,
die Risiken? Die Ständige Impfkommission sieht das bei Corona als
gegeben: Die Impfung wird weiter empfohlen.