Inzidenz stagniert knapp über 100 - Experte: Dunkelziffer enorm

Nach einer längeren Talfahrt stagniert die Corona-Inzidenz in Bayern
derzeit knapp über 100. Doch der im Vergleich zu den Monaten davor
niedrige Wert hat nur noch wenig Aussagekraft - und andere Zahlen
weisen bereits wieder ein Stück nach oben.

München (dpa/lby) - Die Corona-Inzidenz in Bayern stagniert seit
einigen Tagen knapp über 100. Am Sonntag lag sie nach Daten des
Robert Koch-Instituts bei 106,1. Das ist zwar der niedrigste Wert
aller deutschen Bundesländer, doch der deutliche Abwärtstrend der
vergangenen Wochen ist inzwischen weitgehend zum Stillstand gekommen.
Andere Zahlen zeigen sogar einen leichten Anstieg.

«Die Sieben-Tages-Inzidenz hat aufgrund der gelockerten Teststrategie
ihre «Seismographen-Funktion» weitgehend eingebüßt», sagt Clemens

Wendtner. Der Chefarzt der Infektiologie in der München Klinik
Schwabing hatte 2020 die ersten deutschen Corona-Patienten behandelt.
Viele Infizierte liefen inzwischen «unter dem Radar», weil nur noch
ein Antigen-Schnelltest gemacht werde und sie daher nicht in der
Statistik auftauchten. «Die Dunkelziffer ist also enorm,
schätzungsweise mindestens Faktor zehn», sagt der Experte.

Für belastbarer hält er daher die Hospitalisierungsinzidenz - und
diese steige wieder leicht an, sagt er. «Natürlich kann hier nicht
zwischen Patienten unterschieden werden, die mit oder wegen Covid im
Krankenhaus eingeliefert werden», sagt der Experte. «Aber es ist auch
ein Indikator, wie hoch die Belastung in Kliniken und nicht zuletzt
auch für die Mitarbeiter dort ist.» Zwar sei man von früheren
Spitzenwerten weit entfernt, «aber die Sommerwelle 2022 hat gezeigt,
wie schnell sich die Werte ändern können», betont er.

Für den Rest des Winters ist Wendtner vorsichtig. Der Blick in die
USA, wo eine Sublinie namens BQ.1.1 bereits die Hälfte der
Neuinfektionen ausmacht, bereitet ihm Sorgen. Auch der Berliner
Virologe Christian Drosten hatte zuletzt auf BQ.1.1 hingewiesen.
Durch zusätzliche Mutationen «entkommt das Virus offensichtlich
relativ gut der Immunabwehr», sagt Wendtner. Man könne also trotz
früherer Infektion oder Impfung erkranken.

Auch dann profitiere man von der Impfung, betont der Mediziner, «weil
die Erkrankungsverläufe nach jetzigem Erkenntnisstand dadurch
abgeschwächt bleiben». Doch für Menschen, die sich nicht erfolgreich

impfen lassen könnten, wie Krebspatienten oder Organtransplantierte,
bestehe ein Problem. Bisher habe man ihnen schützende Antikörper
verabreichen können, «diese versagen aber leider gegen BQ.1.1».

Antivirale Medikamente wirkten zwar noch, «aber diese müssen kurz
nach Infektionsbeginn geschluckt werden», sagt Wendtner. «Insofern
sollten wir noch vorsichtig sein und nicht alle Schutzhüllen, nicht
zuletzt auch Masken, vorzeitig fallen lassen - wenn schon nicht zum
Eigenschutz, dann zumindest als Fremdschutz mit Blick auf die
Schwächsten, die sonst besonders hart im kommenden Winter getroffen
werden könnten.»