Aufatmen per App? - Studie im Allgäu soll Allergikern helfen Von Frederick Mersi, dpa

Rund 12 Millionen Menschen in Deutschland haben Heuschnupfen - und
leiden im Alltag teils stark darunter. Wie können diese Menschen ihre
Beschwerden ohne Medikamente selbst lindern? Dazu forschen derzeit
Wissenschaftler - ausgerechnet an einem wenig betroffenen Ort.

Bad Hindelang (dpa/lby) - Dass Vanessa Zeller unter Heuschnupfen
leidet, wirkt mit Blick auf ihren Heimatort erstaunlich. Sie ist in
Bad Hindelang im Oberallgäu aufgewachsen, ein heilklimatischer
Kurort, der mit «unbeschwertem Urlaub von der Allergie» in einer
«extrem pollen- und feinstaubarmen Luft» wirbt. Trotzdem ist Zeller
immer wieder auf Augentropfen und Nasenspray angewiesen - und führt
nun ein Tagebuch über ihre Allergie-Leiden.

Denn Umweltmediziner der Universität Augsburg aus dem Team von
Claudia Traidl-Hoffmann haben den Heimatort der 30-Jährigen als
«Reallabor» für eine Studie zur Allergie-Prävention ausgewählt.
Vanessa Zeller und rund 70 weitere Teilnehmende dokumentieren dafür
seit Mai, wie sie ihren Alltag gestalten und wann sie besonders unter
ihren Allergien leiden. Ihre Angaben wollen die Forscher mit Pollen-
und Schadstoff-Messungen sowie Wetter-Daten vergleichen, um
herauszufinden, wie sich Allergiker am besten vor laufenden Nasen,
tränenden Augen oder gar Asthma-Anfällen schützen können.

Am Ende der Studie solle eine App stehen, die Betroffenen möglichst
individuelle Empfehlungen zum Schutz vor Allergie-Leiden gibt, sagt
Projektleiterin Caroline Böck. «Die meisten Pollen-Apps nutzen dafür

nur hochgerechnete Daten. Aber die Pollen-Konzentrationen können
lokal sehr unterschiedlich sein - und viele Schadstoffe in der Luft
befeuern die Leiden noch einmal.»

Mit Hilfe der App sollen sich Allergiker ein Stück weit selbst
schützen können, zum Beispiel an gewissen Tagen oder zu bestimmten
Tageszeiten Aktivitäten im Freien vermeiden, die Fenster schließen
oder Kleidung und Haare waschen. «Wenn das hier gut läuft, kann das
auch zu einer Blaupause für andere Orte werden», sagt Böck. Um einen

Vergleich zur Stadtluft zu haben, sollen auch Menschen in Augsburg an
der Studie teilnehmen. Das bayerische Gesundheitsministerium fördert
die bis Frühjahr 2025 geplante Untersuchung mit 200 000 Euro.

Der Bedarf für Allergie-Prävention ist groß. Nach Angaben der
Europäischen Stiftung für Allergieforschung leiden rund 25 Millionen
Menschen in Deutschland an einer Allergie, etwa 12 Millionen davon an
Heuschnupfen. Dabei reagiert das Immunsystem auf Proteine in den
Pollen, die bei Kontakt mit den Schleimhäuten in Mund, Nase und Augen
freigesetzt werden. Zu den Folgen gehören Entzündungen, Juck- und
Niesreiz, aber auch Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Asthma.

Wer bei Markus Koch in Bad Hindelang in Behandlung geht, leidet meist
massiv unter solchen Symptomen. Der Mediziner leitet die Alpenklinik
Santa Maria der Katholischen Jugendfürsorge Augsburg im Ortsteil
Oberjoch, die sich auf Reha-Aufenthalte für Allergiker spezialisiert
hat. Allergiker aufmerksamer für ihre Beschwerden zu machen und bei
der Prävention zu helfen, sei wichtig, sagt Koch. «Viele sagen
einfach, ich nehme ein Antiallergikum - und alles ist gut. Das kann
gut gehen, muss es aber nicht.»

Manche Patienten kämen mit heftigen Symptomen in die Klinik, ohne
überhaupt zu wissen, wogegen sie allergisch sind, sagt Koch.
Allergien entwickelten sich aber oft weiter. Besonders problematisch
sei der sogenannte «Etagenwechsel» - wenn aus Allergie-Beschwerden
ein Asthma oder dauerhafte Lungenkrankheiten entstünden. «Mit einem
Symptom-Tagebuch oder Allergie-Kalender oder der geplanten
Gesundheits-App kann ich früher merken, wenn die Symptome zunehmen
oder eine Therapie nötig wird», sagt Koch.

Durch die Teilnahme an der Studie sei sie in diesem Bereich jetzt
schon aufmerksamer geworden, sagt Vanessa Zeller. «Es fällt einem
schneller auf, wenn das Auge juckt - und man macht sich mehr
Gedanken, wie man den Tag eigentlich gestaltet hat.» Jeden Tag den
digitalen Fragebogen der Augsburger Forscher auszufüllen, koste zwar
Zeit, sagt sie. «Aber wenn irgendwann eine App daraus entsteht, die
Allergikern wie mir hilft, dann ist es im Vergleich nicht so viel
Aufwand.»