Lauterbach verteidigt Milliardenpaket gegen Krankenkassen-Defizit

Die Krankenversicherungen brauchen dringend eine Finanzspritze. Die
Regierung will dafür auch Branchen des Gesundheitswesens heranziehen
und Einschnitte für Patienten ausschließen. Kommt sie damit durch?

Berlin (dpa) - Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat
seine Pläne zum Ausgleich eines Milliardenlochs bei den gesetzlichen
Krankenkassen im nächsten Jahr gegen scharfe Proteste verteidigt. Der
allergrößte Teil werde nicht durch eine Erhöhung des Beitragssatzes
auf der Arbeitnehmerseite bezahlt, sagte er am Freitag im Bundestag.
Die geplante Beitragsanhebung um 0,3 Punkte sei vertretbar und nicht
unfair. «Im Gegensatz zu Steuermitteln bezahlt jeder Arbeitgeber die
Hälfte mit.» Lauterbach bekräftigte, dass zuerst Finanzreserven im
Gesundheitswesen angegangen werden sollten, ohne Leistungen für
Versicherte zu kürzen. Von der Opposition kam harsche Kritik.

Das Finanzpaket, gegen das auch Branchenverbände seit Wochen mobil
machen, soll ein für 2023 erwartetes Minus von 17 Milliarden Euro
auffangen. Bestandteile sind unter anderem auch ein zusätzlicher
Bundeszuschuss von zwei Milliarden Euro, ein Abbau von Finanzreserven
bei den Kassen, ein Beitrag der Pharmaindustrie und der Wegfall einer
Extra-Honorierung für Neupatienten in Praxen. «Bei unberechtigten
Angriffen werden wir dem Lobbydruck standhalten», sagte Lauterbach.
Am wichtigsten Grundprinzip, dass es keine Leistungskürzungen geben
solle, werde in der gesamten Legislaturperiode nicht gerüttelt.

Mit Blick auf «Effizienzreserven» erläuterte Lauterbach, Kassen mit
vielen Rücklagen hätten Altersrückstellungen für Vorstände massiv

aufgestockt. Es gebe auch Kassen, «wo die Vorstände deutlich mehr
verdienen als der Bundeskanzler». Eine doppelte Abrechnung von
Pflegeleistungen in Kliniken solle beseitigt werden. Für Pharmafirmen
solle die Zeit, in der sehr hohe Preise für neue Medikamente
unverändert gelten, verkürzt werden. «Das kann in dieser Form sowieso

nur noch in Deutschland passieren», sagte Lauterbach zum Status quo.

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sprach von einem
«Destabilisierungsgesetz». Wenn die Beiträge steigen, sei es kein
gutes Signal für die Menschen. Ein Abschöpfen der Kassen sei falsch.
«Sie steuern auf einen Black-out der Versorgung zu», sagte er an
Lauterbachs Adresse. Eine Abschaffung des Budgets für Neupatienten in
Praxen sei eine Leistungskürzung. «Das können Sie schönreden, wie S
ie
wollen.» Der AfD-Gesundheitspolitiker Martin Sichert kritisierte, es
würden alle Krankenkassen bestraft, die solide gewirtschaftet haben.

Der FDP-Experte Andrew Ullmann verteidigte dagegen die Pläne, ohne
die Versicherte Beitragsanhebungen von mehreren Hundert Euro erleben
würden. «Das ist nicht verantwortbar in Zeiten von Inflation und
Energiekrise.» Lauterbach fügte hinzu: «Nach der Reform ist vor der
Reform.» Langfristig gebraucht werde «eine wesentliche Strukturreform
der Art und Weise, wie wir die Krankenversicherung bezahlen».

Um Rede-Äußerungen des AfD-Abgeordneten Sichert kam danach eine
Auseinandersetzung auf. Er hatte unter anderem gesagt: «Während
ukrainische Nobelkarossen vor deutschen Zahnarztpraxen stehen und
Ukrainer sich auf Kosten der deutschen Beitragszahler die Zähne
richten lassen, wissen viele Deutsche nicht mehr, wie sie angesichts
der gestiegenen Lebenshaltungskosten selbst ihre Grundnahrungsmittel
finanzieren sollen.» Lauterbach schrieb bei Twitter von einer
«abstoßenden Rede» und fügte hinzu: «Genau so haben Nazis hier im

Haus über Juden gesprochen.» Sichert teilte danach mit, er habe
Lauterbach wegen Verharmlosung des Holocaust angezeigt.