Urteil im Prozess gegen Högel-Vorgesetzte für Ende Oktober erwartet

Der Ex-Krankenpfleger und Serienmörder Niels Högel ist längst
verurteilt. Offen ist die Frage, ob Vorgesetzte Taten hätten
verhindern können. Ein ehemaliger Kollege Högels berichtet vor dem
Landgericht von einer Kultur des Vertuschens.

Oldenburg (dpa/lni) - Im Prozess gegen sieben Ex-Vorgesetzte des
Patientenmörders Niels Högel hat das Landgericht Oldenburg für
Dienstag eine erneute Zwischenbewertung angekündigt. Die
Stellungnahme betreffe sowohl die Fälle im Klinikum Delmenhorst als
auch die in Oldenburg, sagte der Vorsitzende Richter Sebastian
Bührmann am Montag. Er kündigte zudem an, dass Mitte Oktober die
Plädoyers und am 25. Oktober das Urteil gesprochen werden könnten.

Für vier angeklagte Ex-Vorgesetzte aus dem Klinikum Oldenburg hatte
das Landgericht in einer vorläufigen Einschätzung bereits
im Juli einen Freispruch in Aussicht gestellt. Die Beweisaufnahme
habe ein vorsätzliches Handeln der Angeklagten «nicht mit einer für
eine Verurteilung ausreichenden Gewissheit belegt», hieß es. Das
Gericht könnte am Dienstag zu einer anderen Einschätzung kommen. Die
sieben Angeklagten sind wegen Beihilfe zum Totschlag beziehungsweise
versuchten Totschlags durch Unterlassen angeklagt. 

Hintergrund des Verfahrens sind die Verbrechen des Ex-Pflegers Niels
Högel. Er tötete Patienten, indem er ihnen nicht verordnete
Medikamente spritzte. 2019 wurde er wegen 85 Morden zu lebenslanger
Haft verurteilt. Die Mordserie begann 2000 im Klinikum Oldenburg und
endete 2005 im Klinikum Delmenhorst. Mit dem Verfahren gegen die
Ex-Vorgesetzten - drei Ärzte, drei leitende Pflegerinnen und Pfleger
und ein Ex-Geschäftsführer - will das Gericht klären, ob diese eine

Mitverantwortung tragen. Im Prozess geht es lediglich um sechs Morde
und zwei Mordversuche.

Ein ehemaliger Pfleger am Klinikum Oldenburg beschrieb am Montag als
Zeuge, wie frühere Kollegen und Vorgesetzte zwar über Högel redeten

und Verdacht schöpften, aber nicht handelten. Sein damals bester
Freund habe ihm immer wieder von Ungereimtheiten in Zusammenhang mit
Högel und auffällig vielen Reanimationen berichtet, als er selbst
schon nicht mehr auf der Station arbeitete. «Da hat sich eine
Sprachlosigkeit und Fassungslosigkeit entwickelt», sagte er. Der
Freund habe ihm auch berichtet, dass die Zahl der Reanimationen in
der Herzchirurgie wieder zurückging, als Högel in die Anästhesie
versetzt worden sei. «Jetzt geht es in der Anästhesie los», habe 
der
Freund damals zu ihm gesagt. 

Tätig geworden sei aber niemand. Stattdessen habe sein damaliger
Freund ihn 2007 gebeten - da war Högel schon in Delmenhorst
aufgeflogen - anonym Anzeige zu erstatten, «weil wahrscheinlich viel
mehr Morde passiert» seien. Sein Freund und andere Kollegen hätten
sich nicht getraut.

2014 habe er sich tatsächlich zu einer Anzeige entschieden. Seine
ehemaligen Kollegen hätten sich deshalb inzwischen von ihm
abgewendet, keiner von ihnen wolle mehr über die Fälle reden. «Ich

bin fassungslos, dass so viele Kollegen so vergesslich geworden sind
und nicht den Mut haben auszusagen», sagte der Zeuge.