Trotz Corona, Inflation und Energiekrise: Optimismus zum Wiesn-Start Von Sabine Dobel, dpa

Nach zwei Jahren Corona-Pause soll das Oktoberfest wieder gefeiert
werden, ganz wie früher mit Millionen Gästen und ohne Auflagen. Viele
sind begeistert, manche sehen das skeptisch.

München (dpa) - Die Bierzelte stehen, und auch das Riesenrad und die
Olympia Looping-Achterbahn. An den Buden hängen schon Filzhüte und
Lebkuchenherzl, kiloweise gebrannte Mandeln liegen abgepackt bereit.
Auf den Straßen der Stadt München sind viele in Dirndl und Lederhose
unterwegs. Der Start des Oktoberfestes steht kurz bevor. Am Samstag
heißt es erstmals nach zwei coronabedingt abgesagten Festen wieder:
Ozapft is.

Er freue sich, aber anders als früher, sagt Oberbürgermeister Dieter
Reiter (SPD). Die Stimmung sei anders. «Ich freu' mich, dass sich
viele tausend Menschen freuen.» Reiter wird am Samstag das erste Fass
Bier anzapfen und damit das Volksfest eröffnen.

Wiesnchef Clemens Baumgärtner (CSU) prognostiziert, die Wiesn 2022
könnte besser besucht werden als die letzte 2019. «Die Wiesnlust und
Vorfreude sind enorm.» Das Fest wird auch Geld in die Stadt spülen.
Der Wirtschaftswert lag zuletzt bei knapp 1,3 Milliarden Euro.

«Wir freuen uns sehr, wenn es losgeht. Es wird Zeit, dass wir wieder
eine Wiesn feiern», sagt Wirte-Sprecher Peter Inselkammer. Trotz
Inflation, Krieg, Energiekrise und Corona: Die Reservierungslage sei
sehr gut, sogar mittags seien die Tische im Zelt teils ausgebucht.

An die sechs Millionen Gäste kamen vor Corona, etwa jeder fünfte aus
dem Ausland. Auch wenn die Pandemie nicht vorbei ist, soll wieder
gefeiert werden wie eh und je: ohne Auflagen, dicht an dicht in den
Zelten. Die einen begrüßen das, andere sehen es kritisch. Selten
wurde das Fest so kontrovers diskutiert.

Schon jetzt ist absehbar: Die Wiesn wird eine Corona-Welle auslösen.
Regelmäßig schnellten Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) zufolge
nach Volksfesten die Inzidenzen hoch, zuletzt etwa nach dem Gillamoos
in Abensberg. Knapp zwei Wochen nach dem Beginn überschritt die
Corona-Inzidenz im Landkreis Kelheim die Marke von 1000.

«Natürlich wird es dazu führen, dass eine Erhöhung der Fallzahlen
auftreten wird», sagt Johannes Bogner, Leiter der Sektion Klinische
Infektiologie am LMU-Klinikum der Uni München auch über die Wiesn.
«Es ist sehr gut dokumentiert, dass nach lokalen Ereignissen eine
messbare Zunahme an Erkrankungsfällen zu Buche schlägt.»

Münchens Alt-Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hat schon
angekündigt, wegen der Corona-Gefahr nicht zum Anstich am Samstag zu
gehen. «Wir sind ein Ehepaar aus der Hochrisikogruppe», sagte der
74-Jährige der «Abendzeitung». Er ließ offen, ob er das Volksfest
überhaupt besucht. Er werde die Gesundheitsrisiken im Auge behalten.
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) ließ laut
«Abendzeitung» noch offen, ob er heuer auf die Wiesn gehen wird.

Anders der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (55): Er will
das Oktoberfest ohne Mund-Nasen-Schutz aufsuchen. «Die Corona-Lage
ist derzeit stabil», sagte der CSU-Politiker kürzlich der
«Bild»-Zeitung. «Jeder soll eigenverantwortlich entscheiden, ob und
wie er die Wiesn besucht. Ich komme ohne Maske.» Und mit Blick auf
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): «Mich wundern die
überdrehten Botschaften von Herrn Lauterbach.» Es gebe «keine
wachsende Belastung in den Krankenhäusern».

Lauterbach reagierte auf Twitter: «Ich wünsche allen ein gutes
Oktoberfest. Auch ich bin kein Spielverderber, lieber @Markus_Soeder.
Trotzdem bitte ich alle, die hingehen, sich vorher zu testen. Ich
appelliere an die gegenseitige Rücksichtnahme.»

Zeitweise wurde auch diskutiert, ob es eine Wiesn geben könne,
während in der Ukraine Menschen im Krieg sterben - und ob es zumutbar
sei, dass alle Energie sparen sollen, auf dem Volksfest aber binnen
zwei Wochen Millionen Kilowattstunden Strom und Gas verbraucht
werden.

Als Beitrag zum Gassparen verzichten die Wirte auf Heizpilze draußen.
Baumgärtner, auch Wirtschaftsreferent, rechnet vor: Der
Stromverbrauch der Wiesn liege bei 0,6 Promille des städtischen
Jahresverbrauchs, bei Gas seien es 0,1 Promille. «Die Wiesn wird
nicht dazu führen, dass in München die Lichter ausgehen.» Niemand
müsse deswegen frieren. Vielmehr würde ohne Wiesn anderswo mehr
Energie verbraucht. Ein Brathendl koste im Ofen daheim mehr Energie
als eines, das mit vielen auf einem Wiesn-Grill gare. «Das Hendl auf
der Wiesn ist energetisch gesehen ein nachhaltiges Schnäppchen.»

Nicht wegen der Gaspreise, aber wegen des allgemeinen Preisanstiegs
werden die Gäste für dieses Hendl wie auch für die Maß Bier tiefer
in
die Tasche greifen müssen: Der Preis für die Maß Bier liegt im
Schnitt bei 13,37 Euro, fast 16 Prozent mehr als 2019. Bei den
Speisen soll es aber weniger sein. Der Anstieg der Energiekosten
schlägt nicht voll auf das Fest durch, da es Vorverträge gibt.

Die Entscheidung, dass die Wiesn stattfinden soll, hatte OB Reiter
Ende April verkündet - durchaus mit Zurückhaltung. Auch er sieht eine
Corona-Welle nach der Wiesn. Wichtig sei aber auch die Lage in den
Krankenhäusern, und dort gebe es keine außergewöhnlichen Belastungen.


Am Samstag wird Reiter nun das erste Fass Bier anzapfen und das
Volksfest eröffnen. Dem traditionellen Wiesn-Mantra zum Anstich «Auf
eine friedliche Wiesn» dürfte zumindest gedacht dieses Mal ein
zweites hinzugefügt werden: «Auf eine gesunde Wiesn».